Seite - 266 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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4.
Revier-Markierungen:
Kampf,
Lebenskampf,
Körperkampf
Brecht nimmt sich in seinen Texten zum Boxen ferner des Phänomens des
Kampfes an.224 Einerseits verzichtet der Autor dabei weitestgehend auf die di-
rekte, für den Sport mithin konstituierende Darstellung von Ringkampfgetüm-
mel und Rundendramatik: „Brecht hat nie Kampfszenen geschildert. Sie boten
nicht den Stoff, auf den er aus war. Er wollte darstellen, wie ein Ding funktio-
niert, nicht, wie es aussieht.“225 In der Beschreibung der Möglichkeitsbedingun-
gen des Boxens und der Darstellung von dessen interdiskursiven Dimensionen
distanziert sich Brecht vom Genauigkeitspostulat der Neuen Sachlichkeit – von
den Geboten der Objektivität und Mimesis: Es macht die Unübertrefflichkeit
von Brechts Boxsportprosa geradezu aus, dass sich der Autor, nach einem Wort
Musils, nicht auf die Rolle des „Abschilderers“226 beschränkt. Andererseits weist
Brecht den Signalelementen von Kampf und Kraftkonkurrenz, die in den öko-
nomischen, politischen und kulturellen Kontexten der Epoche zentral aufzu-
spüren sind, mit „motivische[r] Dominanz“227 und der „insistence of an under-
lying metaphor“228 einen festen Platz zu. „Es war die Wildheit, die mich an
diesem Kampf interessierte“229, stellt der Autor, kaum in Berlin, dem boxsportli-
chen Brennpunkt der Epoche eingetroffen, zu Beginn der 1920er-Jahre fest, „ein
,Kampf an sich‘, ein Kampf ohne andere Ursache als den Spaß am Kampf, mit
keinem anderen Ziel als der Festlegung des ,besseren Mannes‘ ausgefochten“230:
Nicht die Motive und Ziele der Kämpfe fesseln Brecht, „sondern ihr Ablauf
und die Kampfform der Gegner“231, notiert Leo Kreutzer: „Kampf als Selbst-
zweck.“232 Kampf aber auch als Bewährungsprobe eines bestimmten Existenz-
und Lebensstils, wie später noch zu zeigen sein wird. Seinem 1923 in München
uraufgeführten Drama Im Dickicht der Städte233 gibt Brecht jedenfalls einen von
224 In der kulturwissenschaftlichen Forschung findet sich der Vorgang bisweilen gespiegelt: Martin
Lindner beschreibt die Verwandlung des Protagonisten in Brechts Parabelstück Mann ist Mann
als Transformation zur „,menschlichen Kampfmaschine‘ mit positivem Unterton“. (Lindner
1994, S. 180)
225 Meinhardt 1996, S. 135
226 Musil 1976a, S. 342
227 Berg 1995, S. 134
228 Shaw 1971, S. 81
229 Brecht 1993a, S. 242
230 Ebd.
231 Kreutzer 1970, S. 569
232 Ebd.
233 Die 1. Fassung unter dem Titel Im Dickicht des zwischen 1921 und 1924 entstandenen, später
in Im Dickicht der Städte umbenannten Stücks wurde am 1923 im Münchner Residenztheater
uraufgeführt, vgl. Brecht 1989bb, S. 589
266 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440