Seite - 273 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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ins „Loch“273 wandert. Im Verlauf des Kartenspiels, notiert Brecht, habe der
Boxer – wie bereits im Ringen mit dem Schiffskoch – „etwas gelernt fürs Le-
ben“274. Dass Brecht in die Runde der Kartenspieler auch einen inhaftierten
„Bankmenschen“275 setzt, darf als schelmischer Kommentar des Autors zur öko-
nomischen Krise der Epoche gewertet werden. Auf einem Rummelplatz sieht
sich Samson-Körner wenig später, dem Gefängnis schon nach kurzer Zeit ent-
kommen, zum ersten Mal mit leibhaftigen Boxern konfrontiert, die sich auf
einem Podium vor aller Augen prügeln; glücklos unterliegt Samson-Körner im
Kräftemessen mit einem der Festplatzraufer276.
Brechts Lebenslauf habe „little to do with boxing“277, analysiert David Bath-
rick, und auch Brechts unvollendeter Boxer-Roman Das Renommee erzähle im
Grunde „schon nicht mehr über Boxen, sondern über Mechanismen der Gesell-
schaft, die beim Boxen nur am offenkundigsten“278 wirkten. In Das Renommee
erscheint die Boxkarriere des Protagonisten bereits marginal und beinahe zufäl-
lig; kein Wort mehr von der häufig zitierten Funktion des Boxens als Lebens-
kampf:
Der Held ist George Carrare […], der […] in einer Hafenkneipe von Marseille
bei einer Keilerei als Boxer entdeckt wird. Der Untersuchungsrichter, der ihn zu
der Höchststrafe von drei Wochen Haft wegen eines übrigens erstklassigen Kinn-
hakens verurteilen muß, ist zufällig ein enragierter Freund des Boxsports und läßt
George, den er, weil er ein Feind von Keilerei ist, ins Kittchen gesteckt hat, aus
seiner Tasche zum Boxer ausbilden.279
Mit der Erzählung Der Kinnhaken lässt sich dies ebenfalls verdeutlichen. Der
Boxer Freddy Meinke, berichtet der auf Anonymität beharrende Erzähler,
steuert in einem anberaumten Meisterschaftskampf auf die „Chance seines
Lebens“280 zu. Brechts Darstellung von Freddys entscheidendem Duell spot-
tet einem mit Boxen verschmolzenen Moment – der Vorstellung riskant-er-
gebnisoffenen und mittels schierer Körperlichkeit ausgefochten Kämpfens. Nur
der „Vollständigkeit halber“281 erkundigt sich einer der Trunkenbold nach dem
273 Brecht 1997b, S. 220
274 Ebd., S. 221
275 Ebd.
276 Vgl. ebd., S. 222f
277 Bathrick 1990, S. 131
278 Meinhardt 1996, S. 135
279 Brecht 1989a, S. 423
280 Brecht 1997a, S. 206
281 Ebd., S. 209 273
„Zeitfigur“
im
Ring:
Brechts
Diskurserweiterungen
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440