Seite - 279 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Bild der Seite - 279 -
Text der Seite - 279 -
der Höchstleistungen.“322 Selbst in der mit pathetischem Gestus entworfe-
nen Gedenktafel verweigert sich Brecht weitestgehend dem Deklamatorischen,
Mäandernden, Emphatischen des Boxens: „Die Was-Spannung soll zugunsten
der Wie-Spannung zurückgenommen werden.“323 Brecht geht aber hier einen
Schritt weiter. Der Autor begreift die ab 1891 in rascher Folge kanonisier-
ten Boxsporttechniken, die fest mit den Namen der zwölf Sportler verbunden
sind, gleichermaßen als Handhabe, sich des Boxens abseits der fetischisierten
neusachlichen Technikbegeisterung zu nähern. Ökonomische und körperliche
Ordnungen, die im weitesten Sinn die Bereiche des Mechanischen und Tech-
nischen berühren, werden als Teil eines umfassenden Diskurses verstanden: „Er
behandelt die Boxer so, als hätten sie Geschichte gemacht.“324 Bob Fitzsimmons
erscheint bei Brecht als „Vater der Boxtechnik“325, Jack O’Brien fragte niemals
„nach der Börse / Er ging aus von dem Standpunkt / Daß man lernt durch
Kämpfe / Und er siegte, so lange er lernte“326; Stanley Ketchel ist der „rauhste
Kämpfe aller Zeiten“327; Billie Papke das „erste Genie des Infightings“328; und
George Chip ist der „unbekannte Mann aus Oklahoma / Der nie sonst Taten
von Bedeutung vollbrachte“329.
Brecht bringt Boxen auch in der Gedenktafel nicht mit ungefiltertem Techniklob
in Verbindung.330 Die Kampfnamen der Wettkämpfer aus dem Gedicht er-
starren etwa in Formelhaftigkeit, indem Brecht in den Lyrikgrundton Stilzüge
des Dokumentarischen mischt: „Jack O’Brien, genannt Philadelphiajack“; „Billie
Papke […] Der Name: Menschliche Kampfmaschine“; „Mike O’Dowd / […]
Mann mit dem eisernen Kinn“; „Harry Grebb, […] menschliche Windmühle“;
[…] „Tigerjack, […] Manassamauler / […] Das ‚Phantom, das nicht stillstehen
konnte‘“; „Tiger Flowers, […] Neger und Pfarrer“331. Seine Kritik an der Do-
minanz des technisch versierten, im Grunde jedoch maschinenartigen Boxens
322 Ebd., S. 246
323 Jeske 1984, S. 95
324 Knopf 1996b, S. 67; (Hervorh. WP)
325 Brecht 1993e, S. 380
326 Ebd.
327 Ebd.
328 Ebd.
329 Ebd., S. 381
330 Brecht hält auch der Versuchung der Reklamerhetorik stand: Er literarisiert nicht mit Hilfe von
Metaphern und Detailbeschreibung und fügt den Sport nicht in konventionelle atmosphärische
Zusammenhänge ein – im Gegensatz etwa zu Paul Boldts und Jürgen Theobaldys Boxgedich-
ten sowie Paul Zechs Jack-Dempsey-Hymnus, in denen mit den Boxerzählbausteinen Hymnik,
Drastik und Dramatik operiert wird, vgl. Boldt 1979, S. 63; Theobaldy 1976, S. 60f; Zech 1956,
S. 365ff
331 Brecht 1993e, S. 380ff (Hervorh. im Orig.) 279
„Zeitfigur“
im
Ring:
Brechts
Diskurserweiterungen
|
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440