Seite - 285 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Boxer – das sind jene Leute, die mit einem gutgezielten Faustschlage mehr verdie-
nen können als ein Schriftsteller mit zehntausend treffenden Bemerkungen. Hier-
aus folgt, daß Boxen ein interessanter Beruf ist. Leider gehört Talent dazu:
Schlag-
fertigkeit.373
Auch Brecht ist Mitte der 1920er-Jahre noch davon überzeugt, dass Boxen einer
„gesunden Regelung von Angebot und Nachfrage“374 zu unterliegen habe; das
Publikum müsse dabei auf seine „Rechnung“375 kommen. Wie bereits weiter
oben angeführt, merkt Brecht dazu in Mehr guten Sport explizit an:
In den Sportpalästen wissen die Leute, wenn sie ihre Billette einkaufen, genau,
was sich begeben wird; und genau das begibt sich dann, wenn sie auf ihren Plät-
zen sitzen:
nämlich, daß trainierte Leute mit feinstem Verantwortungsgefühl, aber
doch so, daß man glauben muß, sich machten es hauptsächlich zu ihrem eigenen
Spaß, in der ihnen angenehmsten Weise ihre besonderen Kräfte entfalten. Das alte
Theater hingegen hat heute kein Gesicht mehr.376
In seinen Texten zum Faustsport zeichnet Brecht aber bald just jene monetären
Zirkulationsströme nach, die durch Boxen erzeugt werden – und die Physio-
gnomie der Weimarer Alltagskultur prägen, also jene „verbundenen Geschäf-
te“377, die zeigen, „wie […] ein Mann gemacht“378 wird, durchaus auch als eine
Antwort auf die Frage, wie jemand etwas aus sich macht, „das dann angemessen
vermarktet“379 werden kann. Brecht nimmt Boxen als „eine reale Möglichkeit
der materiellen Existenzsicherung“380 und als ein Mittel gegen die „ökonomi-
sche Peripherisierung“381 wahr; den Repräsentanten des sozialen Zwielichts und
Managern wie Kampe im Kinnhaken, die Boxen in einen „Schiebungssport“382
verwandeln wollen, dient Boxen bekanntlich ebenfalls als Erwerbsquelle: Als
Meinkes à la mode pejorativ dargestellter Manager fungiert der „dicke Kam-
pe“383 in Doppelfunktion als Agent und Adept: Kampe sorgt sich nicht um
373 Kästner 1998a, S. 167
374 Brecht 1992c, S. 120
375 Ebd.
376 Brecht 1992c, S. 120 (Hervorh. im Orig.)
377 Knopf 1996b, S. 248 (Hervorh. WP)
378 Ebd. (Hervorh. WP)
379 Ebd. (Hervorh. WP)
380 Jost 1979, S. 54 (Hervorh. im Orig.)
381 Sicks 2004, S. 384
382 Brecht 1997e, S. 384
383 Ebd., S. 207 285
„Zeitfigur“
im
Ring:
Brechts
Diskurserweiterungen
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440