Seite - 286 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Bild der Seite - 286 -
Text der Seite - 286 -
die Gesundheit Meinkes, indem er ihm vor dem entscheidenden Match den
Alkoholkonsum verbietet384; die Aufmerksamkeit des Managers gilt zuallererst
seinem eigenen Gewinnkalkül.
In Brechts Texten zum Boxen erfährt der Sport andererseits eine weiterfüh-
rende, mit zentralen zeitgenössischen Ideenpositionen verwobene Ausrichtung;
der Typus des Boxers, der Lebensführung und Krafterwerbsmethodik ohnehin
buchhalterisch verwaltet, wird zu einem Funktionsträger, der seine körperliche
Erscheinung zum prägnanten Erkennungszeichen moderner Wirtschaftlichkeit
formt: Brecht bringt, jenseits des schlicht Dekorativen der Trivialliteratur, den
Homo oeconomicus in das Bild des Boxers ein. Brechts Zugriff auf die Gestalt
des Boxers lasse sich, so Günter Berg in Die Männer boxen im Salatgarten, mit
deren besonderer Fähigkeit zu Widerstand und Selbstbehauptung erklären, die
wiederum in engem Zusammenhang mit dem „Mikrokosmos der kapitalisti-
schen Gesellschaftsshow“385 stehe:
Der Held wird zunächst hergestellt und aufwendig verpackt, dann möglichst teuer
verkauft. Und weil das manchmal nicht ohne Spuren abgeht, wählt Brecht für seine
Protagonisten die robuste Physiognomie des Boxers.386
Dem Weimarer Mental-Koordinatensystem, auf dessen Abszisse sich zu Be-
ginn des Jahrhunderts die hektischen Ausschläge von Körperkult, Kampf- und
Kraftfetischismus abzuzeichnen beginnen, prägt Brecht auf dessen Ordinate
ökonomische und soziale Aspekte dimensional ein. Er testet die Netz- und
Nutzenfunktionen des Boxens geradezu aus: Der Autor versteht es, bislang
unterbelichtete Aspekte des Sports auf neue und innovative Weise zu dekla-
rieren. Brechts Schreibweise über Boxen lässt sich als Wissensspeicher zeitge-
nössischer körperkultureller Praktiken und sozialer Konstellationen, zentraler
Diskursballungen und außertextueller Bezugspunkte auffassen.387 Anstelle der
mimetischen Wiedergabe des Boxens reflektiert der Autor im Modus des Er-
zählens die Epoche. Die Bedeutung des Sports im Duellmodus erschöpft sich
bei Brecht nicht in wettkämpferischem Pathos; der Sport besteht aus einer Fülle
von Beziehungen, die er knüpft, aus Denkbildern, die er entwirft, aus verdeckten
Verbindungen, die er hervorruft.
384 Vgl. ebd., S. 208
385 Berg 1993, S. 14
386 Ebd.
387 Mit Margarete Vöhringer ließe sich Brechts literarische Konzeptualisierung des Sozialen, dispo-
sitivanalytisch motiviert, als ein „Pfropfen“ beschreiben, vgl. Vöhringer 2007, S. 173
286 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440