Seite - 292 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Folgt man Brecht, beginnt die Wirtschaftsmoderne bereits im Frühkapitalismus
eigentümliche Dynamiken und Motivierungen zu entwickeln. „Wir verdienten
uns das Geld verdammt schwer durch das Rauchen, und wir verloren es un-
geheuer leicht durch das Kartenspielen.“434 Mit der im Lebenslauf wegweisen-
den Idee vom diskursiv erweiterten Umlauf des Monetären konfrontiert Brecht
den Boxer auch in anderem Zusammenhang. Auf Schiffspassagen lernt Sam-
son-Körner, als „Meßroomsteward“435 verantwortlich für die Stiefelpflege und
die Wäsche, Schiffsoffiziere kennen, die den jungen Mann malträtieren:
Es waren nicht die schlechtesten, die ich getroffen habe, nur war ihnen fast allen
wohler, wenn sie einem langen und etwas langsamen Jungen mit den Stiefeln in
den Rücken treten konnten, und sie legten großen Wert darauf, ihm im Vorbeige-
hen ein Bein zu stellen und ihn dann freundlich in die Nieren zu boxen.436
Anfangs setzt sich Samson-Körner zögerlich zur Wehr. Bald schmettert er ei-
nen seiner Peiniger jedoch an die Schiffswand; in ökonomischer Steigerungslo-
gik erklärt Samson-Körner sein Verhalten:
Ich machte das so: es ist sehr wichtig, daß man bei einem Kampf möglichst zornig
ist. Freilich, manchmal ist man das ganz von selber, aber manchmal will es auch
einfach gemacht sein. Hatte ich zum Beispiel meinen Mann an die Kombüsen-
wand zu schmeißen, dann gab ich mir vor allem zuerst einmal Mühe, gegen ihn
aufgebracht zu sein. Ich sagte mir alles Schlechte, was zum Beispiel gegen seine
Nase gesagt werden konnte, und wenn er nur herschaute, sagte ich mir gleich: wie
frech der wieder herschaut! […] [A]m besten ist es, wenn man seinen Zorn so gut
unterdrückt, als man kann, dadurch wächst er kolossal. 437
An einem der folgenden Abende, an dem Samson-Körner in einem „atlanti-
schen Meer von Whisky“438 unterzugehen droht, wird der Boxer um seinen
gesamten Besitz gebracht.439 „Ich hatte meine Lehre zu verdauen“440, folgert
der Athlet, „daß die Sache mit der Kraft ihre zwei Seiten hat. Einerseits beka-
men die Schwächeren die Prügel, aber andrerseits bekommen die Klügeren das
434 Ebd.
435 Ebd., S. 226
436 Ebd., S. 227
437 Ebd., S. 227 (Hervorh. im Orig.)
438 Ebd., S. 231
439 Vgl. ebd.
440 Ebd., S. 232
292 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440