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geniert, war es, daß ich sozusagen in der gleichen Zeit lernte, daß das Starksein
allein nicht genügt.446
Im Ring lässt sich bares Geld gewinnen – und hohe Prestigewerte in der Form
von Heldensagen. Der Beginn von Samson-Körners Boxerkarriere ist im Lebens-
lauf deshalb auch konsequent Überlegungen zu Investition und Finanzierung
geschuldet. Als der junge Samson zum ersten Mal auf einem Rummelplatz in
Cardiff, begleitet von einem Mädchen, das er beeindrucken will, einen Boxring
betritt, gehen diesem Schritt erst einmal ökonomische Abwägungen voraus:447
Das Zuschauen kostete pro Person 20 Pence. Dieser Eintrittspreis war nicht sehr
hoch, ich bin immer der Ansicht gewesen, daß für Boxen nicht genug bezahlt
werden kann, aber für mich in Cardiff war es doch ziemlich hoch, besonders da
ich für zwei Personen zu zahlen hatte. Wenn man boxte, fiel der Eintritt natürlich
weg, und als wir eine Zeitlang vor der Bude herumgestanden hatten und die Sache
schon peinlich für einen Gentleman wurde, sagte ich, möglichst gleichgültig im
Ton, dem Unternehmer, ich wolle mal „mit seinem Mann ein wenig reden“. Der
Herr lächelte etwas schief und führte meine Dame sehr höflich auf einen feinen
Platz in der ersten Reihe, damit sie gut sehen konnte, wie ich „mit seinem Mann
redete“.448
Auch Brechts Pläne zur Fortsetzung des Fragments, im Oktober 1927 im Sport-
blatt Arena angedeutet, belegen die motivische Dominanz des Ökonomischen
im Lebenslauf. Wirtschaftliche Not zwingt Samson-Körner auch hier unter das
Joch von Gelderwerb und Gewinnstreben: Mit 15 Jahren verdingt er sich als
„Schaubudenboxer“449; die boxsportliche Professionalisierung des Athleten fin-
det auf anderen Berufsfeldern statt: „Geldmachen als: Portier, Tellerabwascher,
Luchman, Bananenverlader, Kartenmixer, Hantelkünstler, Schneeschipper,
Kesselschmied“450; als „Schaufelkranführer“, „Eisenkonstrukteur“, „Autotaxibe-
sitzer“, „Vorarbeiter in den Kupferminen in Chile“451. Boxen ist im Lebenslauf
Teil der konkreten Lebenswelt; der Sport steht mit lebensweltlichen Zusam-
menhängen in diskursiver Wechselwirkung: Boxen entspringt auch abseits des
Zeremoniellen und Rituellen dieses Sports realsoziologischer Motivierung. Die
446 Ebd. (Hervorh. im Orig.)
447 Vgl. ebd., S. 223
448 Ebd.
449 Brecht 1997dd, S. 624
450 Ebd.
451 Alle ebd.
294 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440