Seite - 307 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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perleistung mit personalem „Wundergefühl“15 assoziiert, ist der Körper selbst
ein „Zaubersack“16, in dem „alle Erfolge der Welt stecken“17. Musil lässt auch die
diskursiven Zentrifugalkräfte, die Boxen kennzeichnen, weitestgehend außer
Acht: das Atmosphärische der Arena; den dionysischen Begeisterungstaumel
auf den Rängen; die offene Metaphorik von Kampf und Lebenskampf; den An-
blick teutonischer Heldenkörper im Ring; die evidenten Trainingsdrillmuster
der Sportler; den asketischen Rigorismus der Athleten; die sportive Auseinan-
dersetzung in Form ritualisierter Gewalt – mit einem Wort: die ganze Trivialität
des Boxens. In Musils Reflexionen lassen sich die Umrisse einer kulturellen Mo-
derne erkennen, die auf Durchmusterung angrenzender und entfernter diskursi-
ver Bereiche des Boxens angelegt ist: „Der Sportbetrieb erscheint in seinen Tex-
ten als Verkörperung der modernen Kultur“18 – als Gesamtheit jenes diskursiven
und körperlich-praktischen Geflechts, das gemeinhin als Moderne firmiert. In
den Schriften Musils erscheint Boxen als ein Zentralmotiv der Zwischenkriegs-
literatur. Er entschlackt den Sport nicht nur vom Goldenen-Zwanziger-Jah-
re-Pathos; durch „vorsichtige Einkreisung des Untersuchungsgegenstandes“19
dringt Musil im Mann ohne Eigenschaften wie in der Figurenstudie über den
Boxer Faust Magenschlag im Tagebuch, in seinen Schriften zum Sport – Als
Papa Tennis lernte; Der Praterpreis; Durch die Brille des Sports; Kunst und Moral
des Crawlens und Randglossen zu Tennisplätzen – wie in der Erzählung Der Riese
Agoag und in der kaum beachteten Studie Psychotechnik und ihre Anwendungs-
möglichkeit im Bundesheere in Bereiche körperlich-sinnlicher Erfahrung vor, die
von den spezifischen Ökonomien und Bedingungen des Boxens mitgeprägt
sind, oder in denen Boxen als bestimmender Aspekt mehr oder minder verdeckt
mitschwingt. Die einzelnen Diskurs- und Praxisfelder werden dabei nicht von-
einander isoliert untersucht, sondern zu komplexen Arrangements mit unschar-
fen Grenzen verkoppelt, wobei die derart begründeten Wissensformate und
Machtkonzeptionen über das faktisch Gegebene hinausweisen und eine neue
Handhabe für das Verstehen der Weimarer Alltagswelt und des gesellschaftli-
chen Subsystems Sport bereitstellen. Im Folgenden werden Musils Gedanken-
bewegungen zum Boxen, die durchaus die „radikale Modernität“20 dieses Autors
mitbegründen, in drei Schritten nachverfolgt: in einer Annäherung, einem Um-
weg, der die reflektorischen Beziehung des Autors zu Sport und Boxen klärt,
15 Ebd.
16 Ebd.
17 Ebd.
18 Fleig 2008, S. 7
19 Lindner 1994, S. 377
20 Ebd., S. 27 307
Primat
der
Reflexion:
Musils
Reorganisation
des
Boxens
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440