Seite - 309 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Als Mittel zur Imagebildung findet sich die Bilderwelt des Boxens selten in die
Alltagspraxis des Autors transformiert; Musil lässt Boxen, abgefedert durch Iro-
nie, in MaĂźen mit bĂĽrgerlichen Moral-, Stil- und Konventionsvorstellungen kol-
lidieren.28 Er sei, wehrt er sich 1935 in der biografischen Skizze „Er“ und „Sie“,
durchaus ein Mann mit Muskeln, „wenn auch ohne die ganze dazugehörige
Überzeugung“29. Mit 26. Mai 1925 ist ein Brief Musils an Franz Blei datiert,
in dem der Absender explizit bekennt, er habe „eine Woche bei der Tennismeis-
terschaft von Ă–sterreich als Zuschauer zugebracht, wohl der ergriffenste von al-
len Zuschauern, ein alter Kunstreiter, der nach vielen Jahren noch einmal Stall-
mist riecht“30. Grundverschieden dagegen das Bild in den Kulturwissenschaften:
Musil, der „agile, sportlich gestählte Mann “31 – ein „sehr männlicher Mann “32,
„außerordentlich viril“33 –, sei, so die diagnostisch verzerrte Sicht, ein „Sports-
mann mit Herz und Hand“34, „[m]uskulös, abenteuerlustig, umsichtig“35. Musil
habe seinen Körper mit „eiserner“36 und „militärischer Disziplin“37 trainiert, der
Boxsport habe ihn von Jugend an beschäftigt38: „Vieles, wenn nicht alles, was
in Musils Texten an Themen, Motiven und Konstellationen auftaucht, lässt sich
auch in seinem Leben wiederfinden.“39 Musil sei nachgerade von der Vorstellung
fasziniert gewesen, er müsse gewandt bleiben, um wie „ein Panther vorspringen zu
können“40, und viele Stunden seines Lebens habe er vor dem Spiegel verbracht, in
„Betrachtung der Muskelschwellungen unter der Haut“41. Elias Canetti erinnert
sich in Das Augenspiel an Musil:
gendes Ergebnis (Begriff/Trefferzahl): „Boxer“ / 19; „boxen“ / 12; „boxt“ / 2; „Faustkampf“ / 1;
„Faustkämpfer“ / 1; „Boxmeister“ / 1; „Boxring“ / 1; „Negerboxer“ / 2; „K. O.“ / 1, vgl. Musil
2009, Fundstellenreferenz
28 Vgl. Corino 2003, S. 817
29 Musil 1978j, S. 974
30 Musil 1981, S. 383
31 Kaiser, Wilkins, 1962, S. 19
32 Corino 2003, S. 31
33 Willemsen 1992, S. 9
34 Bernett 1960, S. 147
35 Corino 2003, S. 31
36 Kraft 2000, S. 11
37 Corino 1988, S. 10
38 Vgl. Corino 2003, S. 817; Bernett 1960, S. 147f; Baur 1980, S. 100; Ernst Kaiser und Eithne
Wilkins widersprechen dem, vgl. Kaiser, Wilkins 1962, S. 10: „Seine [Musils] einzigen bekann-
ten Hobbies waren Gymnastik, Schwimmen und lange Spaziergänge.“
39 Pekar 1997, S. 9
40 Otten 1960, S. 363
41 Willemsen 1992, S. 7 309
Primat
der
Reflexion:
Musils
Reorganisation
des
Boxens
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂĽberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂĽckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440