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FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Man läuft, man schlägt Ball, man spielt Faustball, zwei Paare fechten sogar, mit Turnerapplomb. Es ist wie wenn man Stadthunde ins Freie hinausläßt, ein ausbre- chender sinnloser Bewegungsdrang;  ganz blödsinnig glücklich, was sie treiben.50 In steinerner Ruhe beobachtet Musil das Sportgeschehen, ohne Verlangen nach Partizipation, allein von Affekten und Emotionen gelenkt. Von keinem Mus- kelzucken ist hier die Rede. „Es sind nicht die tiefen sinnvollen Dinge, die das Leben hübsch machen, sondern die sinnlosen“51, macht Musil in dem Diarium den Umschlagpunkt des Denkens aus, als er die Beobachtung einer Schlagbewe- gung bei einem Boxtraining notiert. „Aus keinem Geist wäre diese schöne Be- wegung zu ersinnen gewesen, sie ist erst durch das alberne Drum und Dran des Sports entstanden.“52 Dem Drum und Dran des Sports widmet sich Musil aus der Distanz; dem Jahrhundertsportgeist gewinnt er wenig ab; der Überbetonung des Körperlichen steht er distanziert gegenüber. Dem zeitgenössischen Box- geschehen nähert sich Musil nicht aus dem Blickwinkel des Fans, jener Form der Anhängerschaft, die er im Mann ohne Eigenschaften lustvoll zur Karikatur verzerrt.53 Die Boxsportblüte der 1920er-Jahre und die damit im Umlauf be- findlichen Geldsummen und symbolischen Körper- und Kampf-Kapitalwerte reizen Musil im Tagebuch zu Kritik und Kopfschütteln54: „Dem Boxer Roth wird zugesichert, falls er in Wien die Weltmeisterschaft im Halbschwergewicht geg[en] Lazek abnimmt: die Ehrenbürgerschaft von Antwerpen, ein Automobil, ein Gartengrund (er ist Gärtner) mit Steuerfreiheit.“55 In Heft 30 der Tagebücher protokolliert Musil, vermutlich in Bezug auf Hitlers bereits um 1936 absehbaren 50 Musil 1976a, S, 297 51 Ebd., S. 732 52 Ebd. 53 Die Wendung von dem „geniale[n] Rennpferd“ ist Form gewordenes Fantum, vgl. Musil 1989a, S. 44; vgl. dazu auch Bourdieu 1986, S. 103 (Hervorh. im Orig.): „Tatsächlich ist der sprich- wörtliche Mann von der Straße nicht nur im Bereich des Sports auf die Rolle eines fans, jenes zur Karikatur geronnenen Grenzfalls des Militanten, zusammengeschrumpft und zu einer rein imaginären Partizipation verurteilt, die weiter nichts denn Scheinersatz für die Preisgabe eigener Fähigkeiten zugunsten der Experten ist.“ 54 Vgl. Musil 1976a, S. 683; 781, 840; Hanns-Marcus Müller interpretiert eine Notiz Musils aus der Nachlassmappe IV/3/330: „[Musil] […] fühlte sich vom Erfolg eines Stefan Zweig oder Franz Werfel weit nachhaltiger gekränkt als durch die ‚Meister der Kölner Schule‘ [das heißt Boxschule].“ (Müller 2004, S. 209) 55 Musil 1976a, S. 868; der Belgier Gustave Roth (1909–1982) triumphiert im September 1936 in Wien über den österreichischen Meister Heinz Lazek (1911–1986), vgl. Musil 1976b, S. 622, 650; Anfang März 1930 notiert Musil im Tagebuch: „Tagebuch eines Meisters. […] Etwas weniger Pompöses als Boxen nehmen.“ (Musil 1976a, S. 837) 311 Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens  |
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FAUST UND GEIST Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Titel
FAUST UND GEIST
Untertitel
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Autor
Wolfgang Paterno
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20545-6
Abmessungen
16.1 x 25.5 cm
Seiten
446
Schlagwörter
Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Grundlagen 15
  2. Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
  3. Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
  4. Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
  5. Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
  6. Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
  7. Ringfeldsichtung 113
  8. Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
  9. Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
  10. „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
  11. Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
  12. ZUSAMMENFASSUNG 389
  13. ANHANG
  14. Bibliografie 402
  15. Bildnachweis 438
  16. Dank 439
  17. Namensregister 440
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