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wussten Erlebens“67 verschattet scheint. „Welt und Denken“68, greift Musil
1926 in dem oben erwähnten Interview deshalb selbst auf die Schlüsselmeta-
pher des Knüpfens und Knotens zurück, seien so zerrissen, dass beide „bis heute
nicht geflickt werden konnten“69. Arnheim im Mann ohne Eigenschaften ortet
„geistige Zerrissenheit“70: „Wir sind in jeder Hinsicht das Volk der Mitte, wo
alle Motive der Welt sich kreuzen. Bei uns ist die Synthese am dringendsten.“71
Die Methode, mit der Musil die Vielfalt der Diskurse und deren Konkretisie-
rungen in stabilen Rahmen zu setzen sucht, erzeugt häufig Bilder im Bereich
feinmaschiger Gewebestruktur. „Ein solches Verfahren hat leider immer etwas
von einer Kohlweißlingsjagd an sich“72, resümiert der Autor 1937 im Rahmen
des Vortrags Über die Dummheit:
Was man zu beobachten glaubt, verfolgt man zwar eine Weile, ohne es zu verlieren,
aber da aus anderen Richtungen auf ganz gleichen Zickzackwegen auch andere,
ganz ähnliche Schmetterlinge herankommen, weiß man bald nicht mehr, ob man
noch hinter dem gleichen her sei.73
In dem Vortrag nimmt sich Musil des Phänomens der Dummheit als eines
symbolischen wie materialen Arrangements an. Der Mangel an Intelligenz, so
Musil, sei „dicht verwoben mit anderem […], ohne daß irgendwo der Faden
hervorstünde, der das Gewebe in einem Zug auftrennen läßt“74. Im Mann ohne
Eigenschaften erläutert wiederum Ulrich in Bezug auf Moosbrugger, der „eine
Frauensperson, eine Prostituierte niedersten Ranges, in grauenerregender Weise
getötet“75 hat: „Im Grunde gleichen alle diese Fälle einem herausstehenden Fa-
denende, und wenn man daran zieht, beginnt sich das ganze Gesellschaftsge-
webe aufzutrennen.“76 Gerhard Meisel geht in seiner Analyse des Mann ohne
Eigenschaften so weit, den Roman als die narrative Norm komplex-postmoder-
ner Verschaltung und Verknotung zahlloser Diskurstypen, Kontextebenen und
heterogener Wissensordnungen zu lesen, die mit „fast sportliche[m] Ehrgeiz“77
67 Ebd.
68 Fontana 1983, S. 381
69 Ebd.
70 Musil 1989a, S. 588
71 Ebd.
72 Musil 1978c, S. 1272
73 Ebd.
74 Ebd., S. 1277f
75 Musil 1989a, S. 68
76 Ebd., S. 263
77 Meisel 1991, S. 3 313
Primat
der
Reflexion:
Musils
Reorganisation
des
Boxens
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440