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damit einhergehenden „Nivellierung von hervorragenden Einzelleistungen“129
zeigt Musil sekundäres Interesse, genauso wie an Heldenromantisierung und
Sportvereinsmeierei. Durch die Wahl „unsystematisch[er] und assoziativ[er]
[…] Themen“130 wechselt er die Perspektive. Der Versuch des Autors, Boxen
als Funktion einer dynamisierten Matrix zu erfassen, bildet sich in nicht stati-
scher, sondern zirkulärer Sprach- und Reflexionsstruktur ab: im „Umkreisen von
Gedanken“131; in Bewegungen am „Rande und außerhalb von etablierten Dis-
kursarten“132; in den „mäandrierenden Strukturmöglichkeiten des Essays“133.
Musil betrachtet das Boxen aus unterschiedlichen Blickwinkeln; er nimmt den
Sport auf „Umwege[n] abschweifend ins Visier“134. Einen übergreifenden Be-
zugspunkt der unterschiedlichen diskursiven Ebenen bildet dabei die Figur des
Boxers auf dem Podium; die aus den Fugen geratenen zeitgenössischen Sig-
naturen lassen sich auf Körper, Bewegung und Denken des Athleten übertra-
gen. Den schwankenden Boden der Tatsachen135 markiert in den 1920er- und
1930er-Jahren ohnehin auch die wenige Quadratmeter große Kampfzone des
Rings, einerlei ob dieser eine „spät-einsame Straße“136 wie bei Ulrichs Faustge-
fecht mit den drei Halunken im Mann ohne Eigenschaften ist oder sich inmitten
einer von Hyperaktivität erfüllten Boxsportarena befindet.
3.
Boxraumentfaltung:
Sportkostümierungen
Wertschätzung für den Sport legt Musil an vielen Stellen seiner fiktionalen
Texte und Tagebucheinträge offen.137 „Sport, insbesondere Boxen, [ist] […]
eine wichtige Komponente“138 von Musils „geistige[r] Organisationspolitik“139;
129 Ebd., S. 303
130 Gamper 2001, S. 51
131 Fleig 2005, S. 93
132 Gamper 2001, S. 50
133 Ebd.
134 Fleig 2005, S. 93
135 Vgl. Lethen 1995, S. 392: „Die Redewendung vom ‚Boden der Tatsachen‘ bildet eine zeitlang
den kleinsten Nenner aller ästhetischen Programme unter dem Stern der Neuen Sachlichkeit.
Untersucht man das Schicksal der Redewendung von 1918 bis 1933, so springen ihre bizarren
Bedeutungswechsel ins Auge. Im Parallelogramm der Kräfte wird der ‚Boden der Tatsachen‘
morgens anders definiert als abends.“
136 Musil 1989a, S. 25
137 Vgl. Müller 2004, S. 127; Fischer 2001, S. 104; Kreutzer 1970, S. 560
138 Fischer 2001, S. 104
139 Musil 1978n, S. 1058
320 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440