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Fast beiläufig wird eine besondere Pointe begründet, wenn Musil auch im
Text Der Praterpreis seinen Ich-Erzähler über dessen langjährige Sportvorliebe
schwärmen lässt. Die Begeisterung des Ichs der Erzählung für alles Athletische
ist ein weiterer Beleg der Überdeterminierung des Sports. In Der Praterpreis
schreibt Musil:
Ich lese seit Jahren alle Sportberichte, deren ich habhaft werden kann. Man lernt
sehr viel dabei. Vor allem verschiedene Sprachen. Das Landen eines Kinnhackens
[sic], das Eintreten eines Balls, das Bedecken einer Strecke in so und soviel Sekun-
den sind im Vergleich zu andren gutartige Neubildungen. Ich liebe diese Ausdrü-
cke und sammle sie gelegentlich.161
In einer Abfolge verschleiernder Sätze, mit denen sich der Berichterstatter, er-
kennbar ein Exponent der von Musil verspotteten „Sportschriftsteller“162, einen
eitlen Distinktionsgewinn zu verschaffen sucht, mündet Der Praterpreis in ge-
zielt aufgeblähte Ausdrucksweise:
Und wenn ich meine Eindrücke zusammenfasse, der ich fast? jeden Sport ausgeübt
habe und heute alle Sportberichte lese, deren ich habhaft werden kann, so muß ich
sagen: Wenn ich die Sache nicht aus eigener Erfahrung kennen würde, würde ich
sie (mir) nach den Berichten (vorstellen können) verstehn; so aber nicht.163
Die sportindustrielle Vermarktungs- und Verwaltungskette, deren Glieder
nahtlos ineinandergreifen, wird von Musil zudem mit Hilfe von Sprachkritik
zergliedert. Die massenmedial verbreitete Sportsprache dringt sukzessive „ins
allgemeine Bewusstsein“164 vor und setzt neue „Wertmaßstäbe“165 für eine sich
„rapide wandelnde Gesellschaft“166. Erst bei genauerem Hinsehen fallen die dis-
kursiven Wissens- und Machtstrategien auf; die Verbindung von Sportsprache
und sportlicher Hochkonjunktur stellt Musil in Als Papa Tennis lernte als ein
Musterbeispiel assoziativer Denkbewegung aus:
So entsteht der Geist des Sports. Er entsteht aus einer umfangreichen Sportjour-
nalistik, aus Sportbehörden, Sportschulen, Sporthochschulen, Sportgelehrsamkeit,
161 Musil 1978b, S. 798
162 Musil 1978g, S. 698
163 Ebd., S. 799
164 Fleig 2008, S. 148
165 Ebd.
166 Ebd., S. 316
324 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440