Seite - 338 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Bild der Seite - 338 -
Text der Seite - 338 -
Im Foucault-Raster: Boxen als Methode
Für Musils Fusionsversuche von Körper, Geist und Seele im Zeichen des Boxens
stellen Foucaults Überlegungen zu Verbindung und Funktion diskursiver Netze
gewissermaßen die kategorialen Raster. Im Rückgriff auf Foucault lässt sich Bo-
xen als Methode praktikabler Körperkonstitution begreifen – als „Technologie
des Selbst“295 und „Selbsttechnik“296. Boxer eignen sich Kraft und Ausdauer
sowohl selbsttechnologisch als auch, durch Muskelformungsgeräte unterstützt,
fremdtechnologisch an; dabei gelangen „Techniken“297 zur Anwendung, die es
„Individuen ermöglichen, mit ihren eigenen Mitteln bestimmte Operationen
mit ihren eigenen Körpern, mit ihren eigenen Seelen, mit ihrer eigenen Lebens-
führung zu vollziehen“298. Das Ziel der Selbstermächtigung durch boxsportli-
chen Drill, der den Boxer in die Ökonomien von Kraft, Tempo, Konkurrenz,
Technisierung und Heroenkult eingespannt erscheinen lässt, ist, „sich selber [zu]
transformieren, sich selber [zu] modifizieren und einen bestimmten Zustand
von Vollkommenheit, Glück, Reinheit, übernatürlicher Kraft [zu] erlangen“299.
Von den kursierenden Umgebungskräften kann sich der Boxer, gleichermaßen
im unentwirrbaren Knotengeflecht der Alltagsideologien und Zeitströmungen
verheddert, nicht lösen. Die Fragen nach der „Interaktion zwischen einem selbst
und anderen“300 und der „Geschichte der Formen, in denen das Individuum auf
sich selbst einwirkt“301, bezieht Foucault in seine Überlegungen zu den diskur-
siven Austauschprozessen mit ein. „Er trug nicht die Muskeln des Sports wie
der Körper vieler, sondern schien einfach und mühelos von Natur aus Muskeln
geflochten zu sein“302, entwirft Musil in Die Amsel ein vom gängigen Athle-
tentypus abweichendes Sportlerbild: „Ein schmaler, ziemlich kleiner Kopf saß
darauf, mit Augen, die in Samt gewickelte Blitze waren, und mit Zähnen, die es
eher zuließen, an die Blankheit eines jagenden Tiers zu denken, als die Sanftmut
der Mystik zu erwarten.“303 Kühnere Körperbilder entwirft kein anderer Autor
in der Zeit der Neuen Sachlichkeit. In Durch die Brille des Sports fasst Musil das
Prototypische des modernen Sports in augenfälliger Ausprägung zusammen:
295 Foucault 1993, S. 27
296 Ebd., S. 28
297 Foucault 1981a, S. 35
298 Ebd.
299 Ebd., S. 35f
300 Foucault 1993, S. 27
301 Ebd.
302 Musil 1978d, S. 549
303 Ebd.
338 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440