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Musil mit der Arbeit Beitrag zur Beurteilung der Lehren Machs 1908 promoviert,
sei nur von „relativer Beständigkeit“478. Intensiv hat sich Musil in den Tage-
büchern und im Mann ohne Eigenschaften auch mit den Aufzeichnungen Kurt
Lewins befasst, neben den Psychologen Max Wertheimer und Wolfgang Köhler
einer der führenden Köpfe der Berliner Gestaltschule479; die 1917 in seinem
Text Kriegslandschaft entworfenen Thesen baut Lewin in den 1930er-Jahren zur
sogenannten Feldtheorie aus. Lewins „Methode der Analyse von Kausalbeziehun-
gen und der Synthese wissenschaftlicher Konstrukte“480 geht davon aus, dass Verhal-
ten, aufgeschlüsselt in Denken, Fühlen und Handeln, von einer Fülle wirksamer
Faktoren, versammelt auf „psychologische[m] Feld“481, bestimmt sei. Die daraus
resultierenden Wirkungen und Wechselwirkungen definiert Lewin als strikt
gleichzeitig und ganzheitlich: „Die Analyse des Verhaltens einer Person muss
von der Gesamtsituation, dem psychologischen Feld, ausgehen. Eine Erklärung
des Verhaltens ist nicht durch einen Verhaltensausschnitt möglich.“482 Lewins
Studien regen zu einer Weltsicht an, die von einem Forschen in „Partikeln“483
übergeht zu einem „Denken im Vorstellungsrahmen von Energiefeldern, aus
denen sich selbst Kräfte entfalten und innerhalb einer Matrix“484 operieren,
wobei sich die Totalität aller messbaren Fakten in „Interdependenz mit allen
anderen“485 befindet. Bemerkenswert ist, dass Lewin – ohne sich explizit auf
die Sporteuphorie der 1920er-Jahre zu beziehen – indirekt zu einer Fülle von
Einsichten über das Boxen gelangt: Der Erfolg in einer bestimmten Sportart
sei, schreibt Lewin in der Studie Feldtheorie, durch eine „Kombination von Mus-
kelkraft, Schnelligkeit der Bewegung, rascher Entschlossenheit und präziser
Wahrnehmung von Richtung und Distanz“486 bedingt. Lewin prägt auch die
Formel von der Gruppendynamik487, die gemeinsam mit den Dynamiken von
Zeit, Ort und Performanz die durchaus bestimmenden Simultanitäten im und
am Boxring beschreibt.488 Boxer und Zuschauer sind in Lewins Theoriemodell
in ein System von Spannungen eingebunden, das sich aus dem „Verhältnis zwi-
478 Ebd., S. 13 (Hervorh. im Orig.)
479 Vgl. Hoffmann 1997, S. 274ff
480 Lewin 1982, S. 135 (Hervorh. im Orig.)
481 Ebd., S. 161
482 Ehmig, Richter 2008, S. 31
483 Marrow 2002, S. 67
484 Ebd.
485 Ebd.
486 Lewin 1982, S. 134
487 Vgl. Marrow 2002, S. 251–259
488 Vgl. Meinhardt 1996, S. 32f. 361
Primat
der
Reflexion:
Musils
Reorganisation
des
Boxens
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440