Seite - 366 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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führen: Einerseits sollte auch ein fern des sportlichen Reglements ausgetragenes
Faustgefecht „keinen Augenblick durch Reflexion gestört“528 werden; anderer-
seits eröffnet das Kräftemessen mit taktischen, technischen und konditionellen
Mitteln die Möglichkeit, im „selbstreflexiven Vollzug eine neue sinnliche Wahr-
nehmung“529 zu erlangen.
Satirische Entlarvung: Faust Magenschlag
Zunächst nähert sich Musil den späterhin in Ulrich exemplifizierten psycho-
technischen Verfahrenstechniken zur Mobilisierung aller Kräfte jedoch in satiri-
scher Form: Der Ernstfall Boxen tritt erst im Mann ohne Eigenschaften ein. In
einer zeitnah zur Bundesheere-Schrift entstandenen Skizze in den Tagebüchern, in
der Musil einen Boxweltmeister namens Faust Magenschlag auftreten lässt, arti-
kuliert der Autor deutliche Bedenken gegenüber der kollektiven Begeisterung
für die psychotechnische Methode: „Eine genaue Analyse des Fragments steht
noch aus. Es ist bislang als Beleg für Musils Beschäftigung mit Münsterberg
herangezogen worden, kann aber auch als Abrechnung mit der literarischen Öf-
fentlichkeit der 1920er-Jahre interpretiert werden.“530 Bereits der Name des Bo-
xers signalisiert, dass der fragmentarische Dialogentwurf das Zusammenspiel
von Geist und Körper nah am Rande zur Persiflage thematisiert. Faust parodiert
in Kausalzusammenhang mit Magenschlag Goethes Faust-Tragödie; der Kampf-
name des Boxers referiert eine für sich selbst sprechende Aktivität: Faust in den
Magen schlagen. Psychotechnik fungiert in dem Fragment, so ironisch wie spöt-
tisch, als überindividuelle Mittlerinstanz hochwertiger Körperveredelung. Die
Figuren auf den Planquadraten politischen Lebens, die hier in Nebenrollen auf-
treten, werden in Musils „Satyre [sic] auf Zustände, die kommen werden“531,
durch eine körpertechnische „Eignungsprüfung“532 ermittelt; auf die „Elastizität
der Stimmbänder“533 wird dabei ebenso viel Wert gelegt wie auf ein „unbewegli-
ches Gefühlsleben“534. Magenschlags satyrartige Opponenten Denk und Un-
hold, die verborgen im Wald den Untergang des Geistigen beklagen und einen
Umsturz planen, werden von Boxweltmeister Faust überwältigt und gefesselt.535
Auf Fausts Fragen antworten Denk und Unhold mit dem „Herausstrecken der
528 Corino 2003, S. 817
529 Fleig 2008, S. 318
530 Fleig 2008, S. 200
531 Musil 1976a, S. 553
532 Ebd., S. 565
533 Ebd.
534 Ebd.
535 Vgl. ebd., S. 563
366 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440