Seite - 374 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Bild der Seite - 374 -
Text der Seite - 374 -
Faustkampf mischt Musil Innenperspektive und Außensicht, Körpertechnisie-
rung und das boxspezifische Fluidum des unsicheren Augenblicks in paradox
gesteigerter Nachdenkbewegung, als eine Methode des Konkreten: Er inter-
pretiert die Sphären körperlicher und sinnlich-geistiger Erfahrung als spezifi-
sche, sicht- und beschreibbare Form des Leiblichen; als Ausdruck geistiger und
materieller Realität. Musil hinterfragt das psychotechnische Telos körperlicher
Organisation und Optimierung, das in der Gestalt des Boxers in der Zeit der
Weimarer Republik seinen zentralen Ausdrucksträger findet. Auf dem Um-
weg psychotechnischer Denkprozesse macht sich der Autor an das Lichten des
Schwärmerei-Dickichts, in dem das Boxen verheddert scheint, das wiederum
den Blick auf diesen Sport verstellt. Musil pocht energisch auf das Prinzip der
Unübersichtlichkeit; am Beispiel des Boxens illustriert er exemplarisch das Mit-
und Ineinander, das planvolle Drunter und Drüber von Körper und Geist.
8.
Reflektieren
und
Ringen:
Lebensathlet
Ulrich
Als Selbst-Stratege stellt sich Ulrich im Mann ohne Eigenschaften den Wider-
sprüchen und Schwierigkeiten, den Konjunktionen und Disjunktionen der
Moderne mit Hilfe forcierter Boxreflexionsathletik; sei es auf offener Straße,
im Renkontre mit den Kleinkriminellen. Oder in denksportlichem Territorial-
kampf. Aus Perspektive einer auf Foucault rekurrierenden Textanalyse scheint
Ulrich mit den Dispositionen und Problemstellungen der Zeit eng verbunden;
die Signaturen der Epoche versucht Musil in Ulrich aber nicht bloß aufzuheben,
sondern deren Repräsentationen in all ihren Komplexitäten wirken zu lassen:
In Ulrich, dem Mann ohne Eigenschaften, finden sich in einer den Romantitel
ironisch unterlaufenden Schreibweise zentrale Phänomene und Problematiken
gebündelt: Tempo, Geist-Körper-Dualismus, Leib- und Trainingskult, Psycho-
technik, Männlichkeit, Sport und Alltagswelt. Ulrich findet sich nicht zufällig
als Boxer im Alltag wieder.
Daseinssportler Ulrich: „Er kann boxen“
Ulrichs Haare waren „blond, seine Gestalt groß, sein Gesicht oval“609; Ulrichs
„offenes Gesicht mit der klaren Stirn, seine ruhig atmende Brust, die freie
den eigenen Bedürfnissen und Projektionen absehende Diagnose“ innerhalb der Vorkriegskultur
gesellschaftlich kein hohes Ansehen genieße, vgl. Wolf 2011, S. 192
609 Ebd., S. 159
374 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440