Seite - 392 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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im Sinnenrausch. Sein Handeln im grellen Scheinwerferlicht erweist sich als
komplexes Agieren, das, aus dem Kanon des Populären und Populistischen her-
ausgelöst, dem prüfenden Blick der Kulturwissenschaften standhalten kann:
Das grob gerasterte Bild vom Boxen wird ausdifferenziert, indem auf die zahl-
reichen Verflechtungen von Sport, Ökonomie und Gesellschaft verwiesen wird;
die in der Zeit zwischen den Weltkriegen popularisierte Boxerfigur wird mit
einer an Michel Foucault orientierten Analyse als ein Phänotyp der Moderne
etabliert. Die analytische Anstrengung umfasst die Verortung des Sports in der
Form eines dominanten Netzwerks ausdifferenzierter Beziehungen zwischen
unterschiedlichen diskursiven Formationen: Die Kulturtechnik des Boxens, die
sich aufgrund ihrer agonalen und atavistischen Grundausrichtung, die sich in
Aggression, Brutalität und Blutrausch niederschlägt, als ein kulturelles Kapital
immer wieder selbst infrage stellt, kann im Zugriff auf Foucaults Ideengebäude
als der Ausdruck einer Wissens- und Machtform beschrieben werden, die durch
soziale Praktiken und körperkulturelle Effekte zur Konstitution moderner Sub-
jektivität beiträgt. Folgt man Foucaults Denkprogramm, lässt sich Boxen als
Ensemble verstehen, das körperliche, apparative und performative Praktiken
und Diskurse, bauliche Formationen und Institutionen, optische und akusti-
sche Reize, Individuen als Akteure und Kollektive als anonyme Massen umfasst;
Boxen findet sich im Spannungsfeld von Körper, Kampf und (Gegen-)Kultur,
in engem Zusammenhang mit Konzepten der Heldenverehrung, Individuation,
Selbstführung und Existenzklärung. Boxen in der Literatur passiert im Zeichen
intensivierter Technik- und Kampfdiskurse, im Schatten von Körpertechnisie-
rung und Lebensbewältigungsprogrammen, im Licht möglicher Existenzspie-
gelung, unter dem Eindruck von Körper- und Menschendurchformung durch
Trainingsschinderei. Damit rückt die Figur des Boxers in den Kreuzungspunkt
der diskursiven Blickführungen, nämlich als ein von Literatur und Medien fa-
vorisierter Typus, der kontrolliert praktizierte physische Gewalt übt und spezi-
ellen Umgang mit sich und seinem Körper pflegt. In ihrem erklärten Vorsatz,
die sozialen und historischen Referenzen des Boxens mit den differenziellen
Macht-, Wissens- und Subjektivierungsmöglichkeiten dieses Sports in syn-
chrone und diachrone Kontexte zu stellen, zieht diese Untersuchung ein um-
fangreiches Korpus an Texten als kulturelle wie ästhetische Artefakte heran. Die
Trivialliteratur erhebt den Boxer zu einem Exponenten des Zeitgeists, der sich
tendenziell und leicht durchschaubar den Moden der Epoche anpasst, fern ver-
tiefender sozialer und psychosozialer Konfigurationen. Die elaborierte Literatur
dagegen bezieht unterschiedliche gesellschaftliche und interdiskursive Formati-
onen des Wissens ein – Boxen wird zu einem mehrdimensionalen Darstellungs-
objekt erhoben, in das eminente Zeitsignaturen eingeschrieben sind. Bei Bertolt
Brecht erscheint der Boxer bereits untrennbar in sozioökonomische Sphären
392 | Zusammenfassung
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440