Seite - 393 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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und Dimensionen des spezifisch Körperlichen und Performativen eingebunden.
Schließlich erkennt Robert Musil im Boxen einen Schlüssel zur Moderne. Ul-
rich aus dem Mann ohne Eigenschaften reagiert auf die Unübersichtlichkeit und
Widersprüchlichkeit der Welt mit neuen Möglichkeiten des Denkens und Han-
delns: Welt und Ich sind in einem erweiterten Wahrnehmungshorizont aufge-
hoben. Darüber wird nun abschließend genauer zu berichten sein, indem die
gewonnenen Ergebnisse von Faust und Geist aufgezeigt werden.
Sport-Mode: Die Inkonsistenz des Boxens im Trivialroman
In den Erzählungen, Reportagen und Romanen der Trivialliteratur, die mit dem
Boxerroman in den 1920er- und 1930er-Jahren ein kurzlebiges Genre generiert,
erscheint der Athlet als ein Exponent des Zeitgeists. In den Texten von Hannes
Bork, Horst Hellwig, Felix Hollaender, Ernst Klein, W. K. von Nohara, Werner
Scheff, Max Schievelkamp, Johannes Sigleur, Adolf Uzarski, Victor Witte, Lud-
wig von Wohl, Olga Wohlbrück, Vicki Baum und Paul Gurk werden Sporthel-
den mit psychologischer Restausstattung in den Ring entsandt, deren charakter-
liche Dispositionen generisch auf Kraftapostolat und Kampfprämisse aufgebaut
scheinen, denen Exzeptionelles und nahezu Erhabenes innewohnt: Die Tätigkeit
des Boxens ist synonym gesetzt für jene Form der Modernität, die sich in Mode
und unscharfer Momentaufnahme verliert. Die Boxerfigur wird als Verkörpe-
rung eines Streiters in eigener Sache interpretiert, ausgestattet mit schlichter
Triebpsychologie und typisierten Verhaltensmustern, ein Sklave von Muskel-
formungsapparatur und Enthaltungswut. Der Boxer betritt den Turnierplatz als
geradezu messianisch verklärte Gestalt; die Geschehnisse im und um den Ring
suggerieren reine Präsenz und Unmittelbarkeit – unter Anteilnahme eines Au-
ditoriums, das durch die Kopräsenz vieler Menschen zu einer Art vegetativ in-
stabilem Großkörper verwandelt scheint. Die Faszination des Technischen tritt
dabei in der Maskerade des Sportsmanns auf – die Gestalt des Boxers wird zum
Zerrbild entstellt. Das Bild des Boxers, des pathetisch agierenden Poseurs rebel-
lischen Heldentums, erstarrt zur Schablone. Der Krise des analytischen Geistes
hält Boxen in der trivialen Belletristik radikale Vereinfachung und heroische
Klischeebilder entgegen. Das Gros der boxaffinen Autoren der Epoche erweist
sich als willfährige Verkünder solcher Einsichten; Boxer werden zu Rittern des
Sport-Chic und Maschinengeistern stilisiert, ihrem gravitätischen Tanz wird
schwärmerisch applaudiert. Die Autoren kommen durch Boxhelden- und Rin-
gromantisierung den Identifikationswünschen und Verehrungsbedürfnissen des
Publikums entgegen; Boxen wird eine zentrale Abbildfunktion zugesprochen,
indem die Textsorte tief in vertrauten Begriffs-, Mentalitäts- und Denkreser- 393
Zusammenfassung |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440