Seite - 394 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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voiren schöpft. Die ausgeteilten Schläge im Rund verweisen symbolisch und se-
mantisch auf die dahinterliegenden Wunschprojektionen und Lebensrealitäten;
Fragen nach den ideologiebefrachteten Alltagsmodellen von Sport, Körper und
Kampf werden zugleich nicht als kulturelles und politisches Problem anerkannt.
Im Trivialroman findet die unkritische und unreflektierte Prolongierung des
Boxheldentums statt – der Kult der Faust wird zelebriert. Der Boxer ist Ein-
satz- und Ersatzheld des Publikums, der sich als Zentrum einer massenfähigen
Körpershow inszeniert. Der Boxsportroman, der durchweg ein positives Bild
seines Sujets zeichnet, positioniert seine Protagonisten weitestgehend außerhalb
jedes erweiterten Diskursgeschehens: Der Zeithintergrund bleibt von geringer
Resonanz und dient lediglich als Legitimation zur Erzeugung erzähltechnischer
Spannung, die aufs Engste mit den Protagonisten verknüpft ist. Die Boxerfigur
gewinnt durch die Dialektik von Anziehung und Abstoßung an Attraktivität:
Seine Zugkraft auf Hunderttausende Leser gewinnt das Schreiben über Boxen
aus nahezu seriell produzierten Umspringbildnern, auch in der Absicht, Superla-
tivistisches und Tendenziöses zu importieren. Die Darstellungsarten des Boxens
sind durch die begrenzten Möglichkeiten struktureller Metaphern bestimmt. In
den Romanen wird zwar ein Spektrum an Boxerbildern vorgestellt, deren Aus-
führung erschöpft sich jedoch in körper- und technikprophetischen Behauptun-
gen: Der Athlet erscheint mit den Attributen von Macht, Kraft und Ausdauer
ausgestattet – inszeniert ist er als Trägermedium konfektionierter Metaphern;
der mit Boxen inhärent verbundene Gedanke des Verbrecherischen, Anrüchi-
gen und Halbwelthaften wird diskursiv erstaunlicherweise ebenfalls nicht auf-
gegriffen. Das Erzählen über Boxen mündet vielmehr in leerlaufende Rhetorik:
Der Athlet erscheint als ein grimmiger Streiter, auf den, domestiziert durch
eine Abenteuerkette, ein Happy End wartet. In die Realien des Boxgeschehens
schaltet sich die Trivialliteratur durch Anspielungen und historische Zitate. Bo-
xen dient ihr als ein Vehikel bestimmter Repräsentationen der Wirklichkeits-
wahrnehmung; die vermeintlich authentischen Anteile des Boxens, großzügig
aus dem Pool der frenetisch-kollektiven Boxsportbegeisterung geschöpft, sollen
Signal- und Vermarktungswirkung entfalten. Die Inhalte aus jenen Wissens-
und Machtarchiven, aus denen Boxen einen großen Teil seiner Relevanz schöpft,
bleiben dagegen nahezu unangetastet: Die Makrostrukturen des Sozialen und
Politischen bleiben unberücksichtigt, die psychologische Mikroebene der Figu-
renzeichnung bleibt unangetastet. Der Blick auf die Verhaltensmechanismen
von Körpern, mit dem sich die ideologischen wie praktischen Zusammenhänge
zwischen den Sphären der Macht, des Wissens und jenen der Subjektivierung
genauer fokussieren ließen, bleibt im Trivialroman aus; die Literarisierung des
Körperlichen erschöpft sich in der instruktiven Darstellung wissenschaftlicher,
asketischer oder folterähnlicher Trainingsmethoden. Die Boxerfiguren werden
394 | Zusammenfassung
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440