Seite - 396 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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keit herausgreifen, fetischisieren und mit bestimmten Tendenzen und Klischees
versehen. Stilisierung und Selbstbild, Leistungsprotzerei und Kraftprahlerei der
populären Boxerfigur und deren tendenziöse Bedeutungsüberfrachtung wer-
den in Zweifel gezogen, die durch Boxen aufgespannten Projektionsflächen für
Identitätskonstruktionen kritisch inspiziert. Deutliche Hinweise der Distanzie-
rung erfolgen sowohl auf die Posen des Boxens und die kalkulierten Strategien
der Selbstaffirmation durch Kampf und Körpertechnisierung als auch auf jene
Vulgärphilosophie, die besagt, dass der Faustkampf als charakteristische Re-
aktion auf politische, soziale und kulturelle Erfordernisse der Zeit wie immer
geartete Maximen der Lebensführung bereitstelle. Die Körpererneuerung im
Zeichen von Trainingssaal und Kraftkammer wird mit Distanz und Skepsis be-
trachtet; Wettkampfvorbereitung und Übungsstaffellauf als fetischisierte Ritu-
alisierungen kenntlich gemacht; der Zusammenhang von Boxsporttraining und
Machbarkeit des Lebensglücks, von den Zeitgenossen nach dem Prinzip kom-
munizierender Röhren imaginiert – diese Gedankenkette wird aufgelöst. In den
Typus des Boxers wird psychologische Tiefe eingesenkt; die Frage nach der Ins-
trumentalisierung des Boxens auf die Konnotationsfelder Nationalismus, Licht-
metaphorik und Pseudoreligiosität ausgeweitet. Das rituell überformte Boxen
mitsamt seinen kognitiven wie körperlichen Wissensbeständen wird dekuvrie-
render Ironie und satirischer Verzerrung preisgegeben – mit dem Ergebnis, die
Disposition des Boxens zum Totalen (und Banalen) umfassend zu hinterfragen.
Um die fetischisierten Rituale des Ringsports zu verstehen, implementieren die
Autoren in ihre Texte ironisch-subversive Handlungs- und Formstrukturen; mit
Hilfe von Situationskomik, surrealen, karikierenden und märchenhaften Erzähl-
haltungen werden die Ordnungen des Boxens, die sich hinter dem Tumultarti-
gen dieses Sports zu verbergen wissen, vor dem Hintergrund gängiger Bild- und
Sprachkonventionen effektuiert: Der Prosazweig zeichnet sich durch deutliche
Tendenzen zu Travestie und Entschleierung aus, durch kritische Bestandsauf-
nahme und Problematisierung der boxsportlichen Zeitsignatur; durch den Ver-
such einer Entlarvung des ideologischen und zuweilen fast mythischen Scheins
der Sportart. Der Boxsportler als Phänotyp der Epoche wird durchmustert; das
boxerische Koordinatensystem neu justiert und kalibriert, die überhöhte Leitfi-
gur zur Disposition gestellt. Die glorifizierten Werte und Rituale scheinen nicht
mehr fraglos; konstatiert werden Formen allgemeiner Kraftlosigkeit, kollektiven
Boxbegeisterungsschwunds und das Verbleichen der Boxerbilder in die Karika-
tur und in die Groteske gesteigerter Komik. Die Heroenfigur wird von Erschöp-
fung, Verunsicherung und Selbstzweifel geradezu invasiv ergriffen, bis hinein in
die Namensgebung und die Phantasmagorien der Lebensglücksuche durch den
Sport: Im Rückgriff auf Foucaults Methode der Diskursanalyse lässt sich das
Feld der elaborierten Literatur als ein kulturelles und ästhetisches Reservoir von
396 | Zusammenfassung
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440