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Ludo Moritz Hartmann (1865–1924) 93
jungen österreichischen Republik stieß Hartmanns Ernennung zum österreichischen Ge-
sandten in Berlin – trotz seiner Anschlussbefürwortung – zum Teil auf Widerstand : So
wurde in der Salzburger Chronik unter dem Titel „Deutschösterreichs jüdische Diploma-
ten“ kritisiert, dass „die deutschösterreichische Regierung in Wien allem Anschiene (sic !)
nach die Diplomaten samt und sonders der jüdischen Rasse entnehmen will und dass die
Staatskanzlei Deutschösterreichs von Tag zu Tag ein schöneres Eldorado für vorwärtsstre-
bende Juden zu werden scheint“135.
In Deutschland wurde die Anschluss-Euphorie Deutschösterreichs jedoch nicht geteilt,
wie Hartmann bei seinem Amtsantritt auf der Reichskonferenz am 25. November 1918
feststellen musste : Als er mit den Worten als Vertreter des österreichischen Volkes strecke ich
dem deutschen Volke die Bruderhand entgegen mit der Bitte einzuschlagen die Grußbotschaft
Deutschösterreichs mit der Bitte um Aufnahme in das Deutsche Reich beendete, stieß er
auf sofortige und brüske Ablehnung des deutschen Staatssekretärs des Äußeren, Wilhelm
Solf, mit dem Hinweis, dass die Entente dem niemals zustimmen würde136. Dennoch
wurde Hartmann in Berlin dem Staatenausschuss zugezogen und arbeitete als Mitglied
des Verfassungsausschusses an der neuen deutschen Reichsverfassung mit. In geheimen
Besprechungen wurde zwischen beiden den Regierungen über die Vorarbeiten für die
Durchführung der Vereinigung beider Staaten verhandelt. Mit dem Gesetz vom 18. De-
zember 1918 über die Einberufung der Konstituierenden Nationalversammlung, St. G.
Bl. Nr. 14, wurde den in Deutschösterreich wohnhaften deutschen Reichsangehörigen
und in Deutschland lebenden Deutschösterreichern das Wahlrecht zur Konstituierenden
Nationalversammlung erteilt. Die neugewählte Konstituierende Nationalversammlung
beschloss am 12. März 1919 ein Gesetz über die Staatsform, St. G. Bl. Nr. 174, in dem
„wiederholt, bestätigt und feierlich bekräftigt wurde, dass Deutschösterreich ein Teil des
Deutschen Reiches“ sei137. Den Anschluss-Wünschen wurde durch den Friedensvertrag
von Saint-Germain-en-Laye, der explizit ein Anschlussverbot für einen Zeitraum von 20
135 Salzburger Chronik, 25.11.1918, 3 (gez. die Redaktion), online verfügbar unter : http://anno.onb.ac.at/cgi-
content/anno?aid=sch&datum=19181125&seite=3&zoom=33&query=%22Ludo%22%2B%22Hartmann
%22&provider=P02&ref=anno-search (letzter Zugriff 16.09.2015) ; vgl. weitere Zeitungsartikel in gleichem
Tonfall und Terminologie : Los von Wien, in : Landbote von Vorarlberg, 07.12.1918, 2 (http://anno.onb.
ac.at/cgi-content/anno?aid=vbd&datum=19181207&seite=2&zoom=33&query=%22Ludo%22%2B%22
Hartmann%22%2B%22Jude%22&provider=P02&ref=anno-search) (letzter Zugriff 16.09.2015).
136 Oberst von Haeften über das Auftreten des Deutsch-Österreichischen Gesandten auf der Reichskonferenz am
25.11.1918, Militärarchiv Koblenz, Nachlass Haeften, unveröffentlichte Erinnerungen, abgedruckt in : Rolf
Steininger, 12. November 1918 bis 31. März 1938 (wie Anm. 118) 142f.
137 Friedrich F. G. Kleinwaechter, Deutschösterreichs Kampf um das Selbstbestimmungsrecht bis zu den
Genfer Protokollen, in : Die Anschlussfrage in ihrer kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bedeutung,
hg. v. Dems., Heinz von Paller (Wien/Leipzig 1930) 72.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625