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Hans Uebersberger (1877–1962) 163
gen Osteuropaprofessuren eingerichtet hätten, um den russischen Feind zu erforschen28, also
praktisch als „know-your-enemy-Unternehmen“ gedient hätten29. Liechtenstein hätte so eine
Einrichtung nicht einmal geistig unterstützt30. Diese und ähnliche Interpretationen seines
einstigen Protegés führten zur Entfremdung und letztlich zum Bruch.
Liechtensteins Idee, Grundlagenforschung zur russischen Geschichte zu subventionie-
ren und diese zu institutionalisieren, sowie das Bestreben von Uebersberger, gleich einen
diesbezüglichen Posten, am besten ein einschlägiges Ordinariat dort einzurichten, standen
an der Wiege der eigenständigen historischen Osteuropaforschung in Wien. Wie wurden
die Idee und das Bestreben umgesetzt ? Liechtenstein stiftete im Herbst 1906 aus seiner
Privatschatulle dem Unterrichtsministerium 40.000 Kronen für den Ankauf der Biblio-
thek des russischen Historikers Vasilij Alekseevič Bil’basov, die Uebersberger vorher in
Sankt Petersburg ausgespäht hatte. Der Minister wiederum ließ eine Findungskommis-
sion an der Universität Wien einsetzen, die sich mehrheitlich aufgeschlossen zeigte für die
Errichtung eines „Seminars für osteuropäische Geschichte“31. So wurde nach der Berliner
Seminarsgründung 190232 fünf Jahre später und nach vielen formellen und informellen
Beratungen in Wien das zweite historische Osteuropainstitut im deutschsprachigen Raum
eingerichtet. Es war zugleich das erste sowie einzige Universitätsinstitut dieser Art, dessen
Stiftung auf einen hochadeligen Mäzen zurückging.
Der Zeitpunkt war wegen des zunehmenden Interesses der Studierenden und der Nach-
bardisziplinen (z. B. der Slawistik) günstig ; außerdem stellte es sich als wissenschaftliche
28 Uebersberger hielt 1934 (wahrscheinlich in Breslau) seine krude Theorie für die Institutsgründungen fest, dass
seit den 1890er Jahren die Gefahr eines Krieges mit dem nach Westen und Südwesten, vor allem zu den Meerengen
drängenden russischen Koloss für Deutschland und Österreich – trotz aller Bemühungen von deutscher Seite, mit
dem russischen Nachbarn ein gutes Verhältnis zu bewahren – immer größer [wurde]. Das erforderte aber auch eine
geistige Rüstung durch die Kenntnis Rußlands, vor allem seiner Geschichte, seiner Expansionspolitik, seines Staats-
aufbaues, seiner geistigen und politischen Strömungen und seiner innenpolitischen Spannungen. Zu diesem Zwecke
wurde 1902 das Seminar für osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Universität Berlin und 1907 das
Seminar für osteuropäische Geschcihte an der Universität Wien geschaffen. Zitat bei Leitsch, Stoy, Seminar
(wie Anm. 2) 88 Anm. 88.
29 Zitat ebd. 88. Voigt, Rußland (wie Anm. 21) 87 Anm. 12, hält fest, dass Uebersberger bereits 1913 beim 12.
Deutschen Historikertag in Wien, mit seinem Referat, in dem Russland als „tödlicher Erbfeind“ der Donau-
monarchie dargestellt wurde, Eindruck schindete.
30 Zum geistig-kulturellen Profil von Prinz (Fürst) Franz (I.) gibt Wakounig, Grandseigneur (wie Anm. 17)
besonders 42–56 einen Einblick.
31 Zum Ankauf der Bil’basov-Bibliothek und zur Gründung des Seminars ausführlich Leitsch, Stoy, Seminar
(wie Anm. 2) 66–85.
32 Zur Gründung des Extraordinariats für Osteuropäische Geschichte 1892 an der Berliner Friedrich-Wilhelms-
Universität (= Humboldt-Universität) und zur Gründung eines Seminars für Osteuropäische Geschichte und
Landeskunde 1902 siehe Dittmar Dahlmann, Einleitung, in : Hundert Jahre Osteuropäische Geschichte, hg.
v. Dems. (wie Anm 21) 7f., hier 7. Näheres dazu bei Voigt, Rußland (wie Anm. 21) 89–93.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625