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460 Reinhard Blänkner
Brunner hat von Beginn an mit neuen Fragestellungen und Interpretationen daran
mitgearbeitet, dieses Vakuum im deutsch-nationalen Sinn zu schließen. Den Auftakt hier-
für gab seine 1930, acht Jahre nach ihrem Abschluss publizierte Dissertation „Österreich
und die Walachei während des Türkenkrieges 1683–1699.“ Von den ereignisgeschichtli-
chen Zusammenhängen abgesehen, die Brunner detailliert und unter Berücksichtigung
lateinischer, rumänischer, französischer und italienischer Quellen und Forschungsliteratur
darlegte (und damit in dieser Qualifikationsarbeit zugleich seine breiten Sprachkenntnisse
demonstrierte), verdient vor allem der historische Deutungsrahmen Beachtung, in den
Brunner die österreichische Monarchie stellt. Es sei ihr nicht gelungen, ihr Ziel, dauerhaft
an der unteren Donau Fuß zu fassen, zu verwirklichen. Dass stattdessen eine der Natio-
nen der Monarchie außerhalb ihrer Grenzen zu selbstständiger dauerhafter Staatsbildung
gelangte (sc. die Ungarn, R.B.), habe zu ihrem Untergang nicht unwesentlich beigetragen.
Zwar hätten die Beziehungen Österreichs zur Wallachei für den Ausgang des Türkenkriegs
keine ausschlaggebende Rolle gespielt. Jedoch zeigten sie, so Brunner zusammenfassend,
„daß an dem entscheidenden Wendepunkt der Geschichte der Monarchie und des südöst-
lichen Europa schon jene Kräfte wirksam waren, die auch späterhin bis in die Gegenwart
hinein die Geschichte dieser Gegenden bestimmten“92.
Die Feststellung, dass die habsburgische monarchische Reichsbildung nicht in eine
Staatsbildung gemündet sei und keine dauerhafte Festigkeit der „innere(n) Einheit Mit-
teleuropas“ unter deutscher Führung „gegen den Druck mächtiger und andersartiger
Völker und Staaten in Ost und West“ zu gewähren vermocht habe, ist Brunners zentra-
les historisch-politisches Argument, das alle seine einschlägigen Aufsätze bis 1945 – und
darüber hinaus – durchzieht93. Den Wirkungen dieser hybriden politischen Struktur der
habsburgischen Monarchie auf die österreichische Geschichts- und Rechtswissenschaft
seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist er in einem pointierten, bisweilen polemischen
Aufsatz in dem Oswald Redlich zum 80. Geburtstag gewidmeten Heft der MIÖG 1938
nachgegangen. Anstelle einer „politischen Geschichte Österreichs“ sei, so Brunner, die
„österreichische Reichsgeschichte“, und anstelle der „Geschichte der politischen Einheit“
sei eine „Geschichte der Institutionen“ getreten. „Nicht zufällig haben sich“, so Brunner,
„im Unterrichtsbetrieb von den in den 90er Jahren zahlreich erschienenen Handbüchern
nur jene durchgesetzt, die eine Verfassungsgeschichte von stark juristischem Gehalt geben
[…]. Damit tritt eine ihres politischen Gehaltes völlig entkleidete Institutionengeschichte
in den Vordergrund, die für die Herausbildung eines neutralen, über dem Ringen der
92 Brunner, Österreich und die Walachei (wie Anm. 18) 266.
93 Vgl. Ders, Funktion (wie Anm. 36) 1 ; Ders., Habsburgermonarchie (wie Anm. 37) passim. Siehe auch
Ders., Das Haus Österreich und die Donaumonarchie, in : Südost-Forschungen 14 (1955) 122–144.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625