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Richard Wolfram (1901–1995) 491
in der Volkskunde unangenehm breit macht, gedenke ich heimzuleuchten, dass er schon ein
Stehaufmanderl sein muss, wenn er das übertaucht. Die Blöche sollten doch wenigstens vor
unserer Volkskunde zurückschrecken48. Solche Attacken tauchen bei Wolfram immer wieder
auf und sind charakteristisch für seinen Hang zu wissenschaftlichen Polemiken, die über
inhaltliche Fragen weit hinausgehen. Es geht vielmehr um ein Freund-Feind-Denken, in
dem um die Definition von Gesellschaft (des „Volkes“ in seinem Verständnis) gerungen
wird und in dem für Wolfram jede abweichende Position nur aus einer rassisch und/oder
politisch niedrigen Absicht heraus erklärbar ist, ein Lagerdenken das in seinem langjäh-
rigen Schriftwechsel als durchgängiges Motiv anzutreffen ist. Dass auch die Professoren-
schaft Anteil an der Polemisierung hatte, zeigt etwa Wolframs Äußerung, dass Much fand,
ich sollte möglichst scharf schreiben49.
Beschränkt sich Wolfram in seiner Polemik noch auf Andeutungen, tritt in seinen
privaten Mitteilungen sein Antisemitismus offen zu Tage. Als es am 7. November 1929 an
der Universität zu antisemitischen und gewaltsamen Aktionen kam, als der Heimwehr
nahestehende Studenten50 das Anatomische Institut von Professor Julius Tandler stürmen
wollten, schrieb Wolfram wenige Tage darauf an Höfler : Es waren ja, wie Du wohl gelesen
haben wirst, einige bessere Geschichten. Zuletzt verbarrikadierten sich die Juden eines Morgens
im Institut von Tandler und die Antwort war natürlich der Sturm auf das Institut. Leider
waren die Juden gut vorbereitet und bewaffnet, unsere dagegen mussten halt so dreinhauen mit
den Fäusten. Dem Vernehmen nach sollen die Juden zuletzt mit Feuerleitern rückwärts durch
die Fenster heraus gerettet worden sein. Auf jeden Fall gabs ziemlich blutige Köpfe auf unserer
Seite51. Wolframs privaten Aussagen lässt sich entnehmen, dass die vorherrschende Moti-
vation für sein politisches Verständnis sich aus Antisemitismus und aus einem betont
48 Wolfram an Höfler, datiert 19.12.1929 (wie Anm. 43).
49 SLIVK, NRW, Briefe 21663-N : Wolfram an Höfler, datiert 10.06.1930.
50 Neben den Nationalsozialisten agitierten 1929 auch der Heimwehr nahestehende Studenten aggressiv anti-
semitsisch. Siehe Pauley, Antisemitismus (wie Anm. 14) 170. Die Auseinandersetzungen am 07.11.1929
forderten insgesamt sieben Schwerverletzte. Siehe Birgit Nemec/Klaus Taschwer, Terror gegen Tandler.
Kontext und Chronik der antisemitischen Attacken am I. Anatomischen Institut der Universität Wien 1910–
1933, in : Der lange Schatten des Antisemitismus. Kritische Auseinandersetzungen mit der Geschichte der
Universität Wien im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Oliver RathkolB (Zeitgeschichte im Kontext 8, Wien
2013) 147–172, hier 163.
51 SLIVK, NRW, Briefe 21673-N : Wolfram an Höfler, datiert 14.11.1929. Zu den gewaltsamen Übergriffen und
den Hintergründen der Attacken auf die Studenten des Anatomischen Institutes siehe Nemec/Taschwer,
Terror gegen Tandler (wie Anm. 50). Ein unmittelbares Bild gibt der autobiographische Roman von Benno
Weiser Varon, der spätere Übergriffe als junger Medizinstudent selber miterlebte. Die Passage in dem zuerst
1943 im Exil in Quito veröffentlichten Werk vermittelt einen Eindruck des Klimas der latenten Gewalt-
bereitschaft in Teilen der Wiener Studentenschaft in den 1930er Jahren, siehe Benno Weiser Varon, Ich
war Europäer. Roman einer Generation, hg. und aus dem Spanischen übersetzt v. Reinhard Andress, Egon
Schwarz (Wien 2008) 35–40.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625