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578 Jiří Němec
standen224. Nach dem Krieg behauptete Borodajkewycz zudem, dass er mit einem Pub-
likationsverbot belegt worden war, was ihm sein Freund Winter schriftlich bestätigte225.
Tatsächlich hat er damals nur wenig publiziert. Ernstberger führte in seiner Begutachtung
1944 als neueste Arbeiten Borodajkewycz’ zwei Vorträge im Reichssender Wien und einen
Aufsatz an226. Diese Abhandlung „Das Reich und der Osten“ sollte im Blatt des Reichs-
protektors „Böhmen und Mähren“ erscheinen, einer prominenten offiziellen kulturpoliti-
schen Monatsschrift, welche unter der Redaktion Franks veröffentlicht wurde. Ein Blick in
die Hefte des Jahrgänge 1944 und 1945 zeigt allerdings, dass kein Aufsatz Borodajkewycz’
publiziert worden war. Als Beyer im Rahmen der Reinhard-Heydrich-Stiftung ein großes
zweibändiges Buch konzipierte, das eine wissenschaftlich-propagandistische Kritik des
Panslavismus enthalten sollte, erschien Borodajkewycz’ Name an zweiter Stelle bei einem
Kapitel über Kroaten und Serben. Er sollte aber nur unter Umständen publizieren, weil
sich hier gewisse politische Bedenken ergeben227. In der endgültigen Ausführung hat diese
Kapitel bezeichnenderweise Valjavec übernommen. Borodajkewycz wurde letztlich im
Kreis der aktivistischen nationalsozialistischen Wissenschaft Prags an den Rand gedrängt
und fühlte sich deswegen im diesem politisierten Wissenschaftsklima nicht wohl. Er be-
schäftigte sich vor allem mit seinen Vorlesungen und konnte rechtzeitig vor Kriegsende
zu seiner Familie fliehen. Im April 1946 schrieb er seinem Freund Ernst Klebel : Von Prag
nahm ich rechtzeitig, am 6. April endgiltig Abschied ; ich hatte die Katastrophe seit langem
kommen sehen und keine Absicht, mich an der befohlenen Schlussszene des Prager Narrenhau-
ses zu beteiligen. Übrigens sollte ich ohnedies mit dem Schluss des Studienjahres meinen Prager
Lehrstuhl verlieren, da meine katholische Persönlichkeit für das Prager Milieu „untragbar“
geworden war. Mein Nachfolger war bereits bestimmt. So sehr ich Prag als Stadt liebte und
so erfolgreich und beglückend für mich auch die Lehrtätigkeit war – ich hatte grossen Zulauf,
da ich den jungen Menschen Wissenschaft bot und nicht Parteidoktrinen, was leider in Prag
sehr eingerissen war – in der Fakultät selbst war ich nie heimisch geworden, sie erinnerte mich
immer an einen deutschnationalen Verein der Vorweltkriegszeit. Wostry und Ernstberger waren
die einzigen Freunde, mit denen mich ein engeres inneres Verhältnis verband, Winter traf ich
nur selten in Prag, auch war das Gespräch zwischen uns etwas schwierig und hart geworden.
[…] Von Prag ging ich also zu meiner Familie, die schon seit Februar in der Oberpfalz weilte,
nach dem unsere schöne Salzburger Zufluchtstätte, Schloss Neuhaus in Gnigl, ein Besitz un-
224 NA, Deutscher Staatsminister, Sig. 110-5/529, Schreiben des SS-Obersturmbannführers Walter Jacobi an
K.H. Frank vom 16.05.1944.
225 ÖStA KA, NL TB, Sig. B1251/4, Winters Eidesstattliche Erklärung vom 02.07.1946. Diese erschien auch in
späteren Lebensläufen Borodajkewycz’, z. B. vom 21.04.1954.
226 Wie Anm. 222. Im Wiener Reichssender sprach er am 29.10.1943 über „Sie erstritten das Reich“ und am
08.01.1944 über „Denkmal deutschen Lebens“.
227 NA, Der Staatssekretär im Amt des Reichsprotektors, Sig. 109-4/244, Schreiben Beyers vom 08.07.1943.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625