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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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durch sie ermöglicht; ohne das unablässige stimulierende Interesse der jüdischen Bourgeoisie wäre Wien dank der Indolenz des Hofes, der Aristokratie und der christlichen Millionäre, die sich lieber Rennställe und Jagden hielten, als die Kunst zu fördern, in gleichem Maße künstlerisch hinter Berlin zurückgeblieben wie Österreich politisch hinter dem Deutschen Reich. Wer in Wien etwas Neues durchsetzen wollte, wer als Gast von außen in Wien Verständnis und ein Publikum suchte, war auf diese jüdische Bourgeoisie angewiesen; als ein einziges Mal in der antisemitischen Zeit versucht wurde, ein sogenanntes ›nationales‹ Theater zu begründen, fanden sich weder die Autoren ein, noch die Schauspieler, noch ein Publikum; nach wenigen Monaten brach das ›nationale Theater‹ jämmerlich zusammen, und gerade an diesem Exempel wurde zum ersten Male offenbar: neun Zehntel von dem, was die Welt als Wiener Kultur des neunzehnten Jahrhunderts feierte, war eine vom Wiener Judentum geförderte, genährte, oder sogar schon selbstgeschaffene Kultur. Denn gerade in den letzten Jahren war – ähnlich wie in Spanien vor dem gleich tragischen Untergang – das Wiener Judentum künstlerisch produktiv geworden, allerdings keineswegs in einer spezifischen jüdischen Weise, sondern indem es durch ein Wunder der Einfühlung dem Österreichischen, dem Wienerischen den intensivsten Ausdruck gab. Goldmark, Gustav Mahler und Schönberg wurden in der schöpferischen Musik internationale Gestalten, Oscar Straus, Leo Fall, Kálmán brachten die Tradition des Walzers und der Operette zu einer neuen Blüte, Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Beer- Hofmann, Peter Altenberg gaben der Wiener Literatur einen europäischen Rang, wie sie ihn nicht einmal unter Grillparzer und Stifter besessen, Sonnenthal, Max Reinhardt erneuerten den Ruhm der Theaterstadt über die ganze Erde, Freud und die großen Kapazitäten der Wissenschaft lenkten die Blicke auf die altberühmte Universität – überall, als Gelehrte, als Virtuosen, als Maler, als Regisseure und Architekten, als Journalisten behaupteten sie im geistigen Leben Wiens unbestritten hohe und höchste Stellen. Durch ihre leidenschaftliche Liebe zu dieser Stadt, durch ihren Willen zur Angleichung hatten sie sich vollkommen angepaßt und waren glücklich, dem Ruhme Österreichs zu dienen; sie fühlten ihr Österreichertum als eine Mission vor der Welt, und – man muß es um der Ehrlichkeit willen wiederholen – ein Gutteil, wenn nicht das Großteil all dessen, was Europa, was Amerika als den Ausdruck einer neu aufgelebten österreichischen Kultur heute bewundert in der Musik, in der Literatur, im Theater, im Kunstgewerbe ist aus dem Wiener Judentum geschaffen gewesen, das selbst wieder in dieser Entäußerung eine höchste Leistung seines jahrtausendalten geistigen Triebes erreichte. Eine durch Jahrhunderte weglose intellektuelle Energie verband sich hier einer schon etwas müde gewordenen Tradition, nährte, belebte, steigerte, 25
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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