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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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Geist der jüngeren deutschen Generation, Hermann Bahr, der für alles Werdende und Kommende sich als geistiger Raufbold wütend herumschlug, mit seiner Hilfe wurde in Wien die ›Sezession‹ eröffnet, die zum Entsetzen der alten Schule aus Paris die Impressionisten und die Pointillisten, aus Norwegen Munch, aus Belgien Rops und alle denkbaren Extremisten ausstellte; damit war zugleich ihren mißachteten Vorgängern Grünewald, Greco und Goya die Bahn gebrochen. Man lernte plötzlich ein neues Sehen und gleichzeitig in der Musik neue Rhythmen und Tonfarben durch Mussorgskij, Debussy, Strauss und Schönberg; in die Literatur brach mit Zola und Strindberg und Hauptmann der Realismus, mit Dostojewskij die slawische Dämonie, mit Verlaine, Rimbaud, Mallarmé eine bisher unbekannte Sublimierung und Raffinierung lyrischer Wortkunst. Nietzsche revolutionierte die Philosophie; eine kühnere, freiere Architektur proklamierte, statt der klassizistischen Überladenheit, den ornamentlosen Zweckbau. Plötzlich war die alte, behagliche Ordnung gestört, ihre bisher als unfehlbar geltenden Normen des ›ästhetisch Schönen‹ (Hanslick) in Frage gestellt, und während die offiziellen Kritiker unserer ›soliden‹ bürgerlichen Zeitungen über die oft verwegenen Experimente sich entsetzten und mit den Bannworten ›dekadent‹ oder ›anarchisch‹ die unaufhaltsame Strömung zu dämmen suchten, warfen wir jungen Menschen uns begeistert in die Brandung, wo sie am wildesten schäumte. Wir hatten das Gefühl, daß eine Zeit für uns, unsere Zeit begann, in der endlich Jugend zu ihrem Recht kam. So erhielt mit einemmal unsere unruhig suchende und spürende Leidenschaft einen Sinn: wir konnten, wir jungen Menschen auf der Schulbank, mitkämpfen in diesen wilden und oft rabiaten Schlachten um die neue Kunst. Wo ein Experiment versucht wurde, etwa eine Wedekind-Aufführung, eine Vorlesung neuer Lyrik, waren wir unfehlbar zur Stelle mit aller Kraft nicht nur unserer Seele, sondern auch noch unserer Hände; ich war Zeuge, wie bei einer Erstaufführung eines der atonalen Jugendwerke Arnold Schönbergs, als ein Herr heftig zischte und pfiff, mein Freund Buschbeck ihm eine ebenso heftige Ohrfeige versetzte; überall waren wir die Stoßtruppe und der Vortrupp jeder Art neuer Kunst, nur weil sie neu war, nur weil sie die Welt verändern wollte für uns, die jetzt an die Reihe kamen, ihr Leben zu leben. Weil wir fühlten, ›nostra res agitur‹. Aber es war noch etwas anderes, was uns an dieser neuen Kunst so maßlos interessierte und faszinierte: daß sie fast ausschließlich eine Kunst junger Leute war. In der Generation unserer Väter kam ein Dichter, ein Musiker erst zu Ansehen, wenn er sich ›erprobt‹, wenn er sich der gelassenen, der soliden Geschmacksrichtung der bürgerlichen Gesellschaft angepaßt hatte. Alle die Männer, die zu respektieren man uns gelehrt hatte, benahmen und gebärdeten sich respektabel. Sie trugen ihre schönen, graumelierten Bärte – Wilbrandt, Ebers, Felix Dahn, Paul Heyse, Lenbach, diese heute längst verschollenen 40
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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