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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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vous plaît‹ zu rufen und ebenso jeder, der von außen hereingelassen wird, seinen Namen zu nennen, so daß sich theoretisch kein Fremder nachts in die Häuser einschleichen kann. – Um zwei Uhr morgens hatte nun in meinem Hotel die Glocke von außen geläutet, jemand eintretend einen Namen genannt, der dem eines Hotelbewohners ähnlich schien und einen der noch in der Portiersloge hängenden Zimmerschlüssel abgenommen. Eigentlich wäre es Pflicht des Cerberus gewesen, durch die Glasscheibe die Identität des späten Besuchers zu verifizieren, aber offenbar war er zu schläfrig gewesen. Als aber dann nach einer Stunde wiederum, nun von innen, jemand ›Cordon, s’il vous plaît‹ gerufen habe, um das Haus zu verlassen, sei es ihm doch, nachdem er schon die Haustür geöffnet hatte, merkwürdig vorgekommen, daß jemand nach zwei Uhr morgens noch aus dem Hause gehe. Er sei aufgestanden und habe auf die Gasse nachblickend festgestellt, daß jemand mit einem Koffer das Haus verlassen habe und sei sofort in Schlafrock und Pantoffeln dem verdächtigen Manne nachgefolgt. Sobald er aber gesehen, daß jener sich um die Ecke in ein kleines Hotel Rue des Petits Champs begab, habe er natürlich nicht an einen Dieb oder Einbrecher gedacht und sich friedlich wieder ins Bett gelegt. Aufgeregt über seinen Irrtum, wie er war, stürzte er mit mir zum nächsten Polizeiposten. Es wurde sofort in dem Hotel in der Rue des Petits Champs Nachfrage gehalten und festgestellt, daß sich zwar mein Koffer noch dort befand, nicht aber der Dieb, der offenbar ausgegangen war, um seinen Morgenkaffee in irgendeiner nachbarlichen Bar zu nehmen. Zwei Detektive paßten nun in der Portiersloge des Hotels in der Rue des Petit Champs auf den Bösewicht; als er arglos nach einer halben Stunde zurückkehrte, wurde er sofort verhaftet. Nun mußten wir beide, der Wirt und ich, uns zur Polizei begeben, um der Amtshandlung beizuwohnen. Wir wurden in das Zimmer des Unterpräfekten geführt, der, ein ungeheuer feister, gemütlicher, schnurrbärtiger Herr, mit aufgeknöpftem Rock vor seinem sehr unordentlichen und mit Schriftstücken überhäuften Schreibtisch saß. Die ganze Amtsstube roch nach Tabak, und eine große Flasche Wein auf dem Tisch zeigte, daß der Mann keineswegs zu den grausamen und lebensfeindlichen Dienern der heiligen Hermandad zählte. Zuerst wurde auf seinen Befehl der Koffer hereingebracht; ich sollte feststellen, ob Wesentliches darin fehlte. Der einzige scheinbare Wertgegenstand war ein nach den Monaten meines Aufenthalts schon reichlich abgeknabberter Kreditbrief auf zweitausend Franken, der aber selbstverständlich für jeden Fremden unbrauchbar war und tatsächlich unangetastet auf dem Grunde lag. Nachdem ein Protokoll aufgenommen, daß ich den Koffer als mein Eigentum anerkenne und nichts aus demselben entwendet worden sei, gab nun der Beamte Order, den Dieb hereinzuführen, 115
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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