Seite - 126 - in Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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wichtiger war eine andere Heimstatt, die ich gleichzeitig fand – der Verlag,
der durch dreißig Jahre mein ganzes Werk bewahrt und gefördert hat. Eine
solche Wahl bedeutet eine Entscheidung im Leben eines Autors, und sie hätte
für mich nicht glücklicher fallen können. Einige Jahre vorher hatte ein
dichterischer Dilettant kultiviertester Art den Gedanken gefaßt, seinen
Reichtum nicht auf einen Rennstall zu verwenden, sondern auf ein geistiges
Werk. Alfred Walter Heymel, als Dichter selbst eine unbeträchtliche
Erscheinung, entschloß sich, in Deutschland, wo das Verlagswesen wie
überall hauptsächlich auf kommerzieller Grundlage geführt wurde, einen
Verlag zu begründen, der ohne Blick auf materiellen Gewinn, ja sogar in
Voraussicht dauernder Verluste, als Maßstab nicht die Verkäuflichkeit,
sondern die innere Haltung eines Werkes für seine Veröffentlichung
entscheidend machte. Unterhaltungslektüre, so einträglich sie auch sein
mochte, sollte ausgeschlossen bleiben, dagegen auch dem Subtilsten und dem
Schwerzugänglichen Unterkunft geboten werden. Ausschließlich Werke
reinsten Kunstwillens in reinster Form der Darbietung bei sich zu
versammeln, war die Devise dieses exklusiven und zuerst nur auf das schmale
Publikum der wirklichen Kenner angewiesenen Verlages, der mit der stolzen
Absicht der Isolation sich ›Die Insel‹ und späterhin ›Insel-Verlag‹ nannte.
Nichts sollte dort gewerbsmäßig gedruckt werden, sondern jeder Dichtung
buchtechnisch eine äußere Form gegeben, die ihrer inneren Vollendung
entsprach. So wurde jedes einzelne Werk mit Titelzeichnung, Satzspiegel,
Type, Papier jedesmal neu zum individuellen Problem; selbst die Prospekte
ebenso wie das Briefpapier erhoben sich bei diesem ehrgeizigen Verlage zum
Gegenstand passionierter Sorgfalt. Ich erinnere mich zum Beispiel nicht, in
dreißig Jahren einen einzigen Druckfehler in einem meiner Bücher gefunden
zu haben oder selbst in einem Brief vom Verlag eine korrigierte Zeile: alles,
auch die kleinste Einzelheit, hatte die Ambition des Musterhaften.
Das lyrische Werk Hofmannsthals wie Rilkes war im Insel-Verlag
vereinigt, und durch ihre Gegenwart war von vornherein das höchste Maß als
das einzig gültige aufgestellt. Man mag sich darum meine Freude, meinen
Stolz denken, mit sechsundzwanzig Jahren der ständigen Bürgerschaft dieser
›Insel‹ gewürdigt worden zu sein. Diese Zugehörigkeit bedeutete nach außen
hin eine literarische Rangerhöhung und zugleich nach innen eine verstärkte
Verpflichtung. Wer in diesen erlesenen Kreis trat, mußte Zucht und
Zurückhaltung an sich üben, durfte keinerlei literarische Leichtfertigkeit,
keine journalistische Eilfertigkeit je sich zuschulden kommen lassen, denn
das Signet des Insel-Verlages auf einem Buche bekräftigte von vorneweg für
Tausende und späterhin Hunderttausende ebenso Garantie innerer Qualität
wie vorbildlicher drucktechnischer Vollendung.
Nun kann einem Autor nichts Glücklicheres geschehen, als jung auf einen
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Die Welt von Gestern
Erinnerungen eines Europäers
- Titel
- Die Welt von Gestern
- Untertitel
- Erinnerungen eines Europäers
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1942
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 320
- Schlagwörter
- Biographie, Litertaur, Schriftsteller
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Die Welt der Sicherheit 10
- Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
- Eros Matutinus 56
- Universitas vitae 74
- Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
- Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
- Über Europa hinaus 135
- Glanz und Schatten über Europa 145
- Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
- Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
- Im Herzen Europas 189
- Heimkehr nach Österreich 208
- Wieder in der Welt 224
- Sonnenuntergang 240
- Incipit Hitler 263
- Die Agonie des Friedens 286