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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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wünschen können. Aber dennoch, als er mir den Vorschlag machte, regte sich die Erinnerung an Matkowsky und Kainz, ich lehnte Moissi unter einer Ausflucht ab, ohne ihm den wahren Grund zu verraten. Ich wußte, er hatte von Kainz den sogenannten Ifflandring geerbt, den immer der größte Schauspieler Deutschlands seinem größten Nachfolger vermachte. Sollte er am Ende auch Kainzens Schicksal miterben? Jedenfalls: ich für meine Person wollte nicht ein drittes Mal für den größten deutschen Schauspieler der Zeit Anstoß des Verhängnisses sein. So verzichtete ich aus Aberglauben und aus Liebe zu ihm auf die für mein Stück fast entscheidende Vollendung der Darstellung. Und doch, selbst durch meinen Verzicht konnte ich ihn nicht schützen, obwohl ich ihm die Rolle verweigert, obwohl ich seitdem kein neues Stück an die Bühne gegeben. Noch immer sollte ich ohne die leiseste Schuld in fremdes Verhängnis verstrickt sein. Ich bin mir bewußt, in den Verdacht zu geraten, eine Gespenstergeschichte zu erzählen. Matkowsky und Kainz, dies mag als durch argen Zufall erklärbar gelten. Wie aber Moissi noch nach ihnen, da ich ihm doch die Rolle versagt und kein neues Drama seitdem geschrieben? Das ereignete sich so: Jahre und Jahre später – ich greife in meiner Chronik hier der Zeit voraus – war ich im Sommer 1935 nichtsahnend in Zürich, als ich plötzlich ein Telegramm aus Mailand von Alexander Moissi erhielt, er käme abends eigens meinetwegen nach Zürich und bitte mich, ihn unbedingt zu erwarten. Sonderbar, dachte ich mir. Was kann ihm so dringlich sein, ich habe doch kein neues Stück und bin gegen das Theater seit Jahren recht gleichgültig geworden. Aber selbstverständlich erwartete ich ihn mit Freuden, denn ich liebte diesen heißen, herzlichen Menschen wirklich brüderlich. Er stürzte aus dem Waggon auf mich zu, wir umarmten uns nach italienischer Art, und noch im Auto von der Bahn erzählte er mir in seiner prächtigen Ungeduld, was ich für ihn tun könne. Er habe eine Bitte an mich, eine ganz große Bitte. Pirandello habe ihm eine besondere Ehrung erwiesen, indem er sein neues Stück ›Non si sà mai‹ ihm zur Uraufführung übertragen habe, und zwar nicht bloß für die italienische, sondern für die wirkliche Welt-Uraufführung – sie solle in Wien stattfinden und in deutscher Sprache. Es sei das erste Mal, daß ein solcher Meister Italiens mit seinem Werke dem Ausland den Vorrang gebe, selbst für Paris habe er sich nie entschlossen. Nun liege Pirandello, der befürchte, es könnten in der Übertragung das Musikalische und die Zwischenschwingungen seiner Prosa verlorengehen, ein Wunsch besonders am Herzen. Er möchte gerne, daß nicht ein zufälliger Übersetzer, sondern ich, dessen Sprachkunst er seit langem schätze, das Stück ins Deutsche übertrage. Pirandello habe selbstverständlich gezögert, meine Zeit mit Übertragungen zu vertun! Und so habe er es selbst übernommen, mir Pirandellos Bitte 132
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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