Seite - 132 - in Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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wünschen können. Aber dennoch, als er mir den Vorschlag machte, regte sich
die Erinnerung an Matkowsky und Kainz, ich lehnte Moissi unter einer
Ausflucht ab, ohne ihm den wahren Grund zu verraten. Ich wußte, er hatte
von Kainz den sogenannten Ifflandring geerbt, den immer der größte
Schauspieler Deutschlands seinem größten Nachfolger vermachte. Sollte er
am Ende auch Kainzens Schicksal miterben? Jedenfalls: ich für meine Person
wollte nicht ein drittes Mal für den größten deutschen Schauspieler der Zeit
Anstoß des Verhängnisses sein. So verzichtete ich aus Aberglauben und aus
Liebe zu ihm auf die für mein Stück fast entscheidende Vollendung der
Darstellung. Und doch, selbst durch meinen Verzicht konnte ich ihn nicht
schützen, obwohl ich ihm die Rolle verweigert, obwohl ich seitdem kein
neues Stück an die Bühne gegeben. Noch immer sollte ich ohne die leiseste
Schuld in fremdes Verhängnis verstrickt sein.
Ich bin mir bewußt, in den Verdacht zu geraten, eine Gespenstergeschichte
zu erzählen. Matkowsky und Kainz, dies mag als durch argen Zufall erklärbar
gelten. Wie aber Moissi noch nach ihnen, da ich ihm doch die Rolle versagt
und kein neues Drama seitdem geschrieben? Das ereignete sich so: Jahre und
Jahre später – ich greife in meiner Chronik hier der Zeit voraus – war ich im
Sommer 1935 nichtsahnend in Zürich, als ich plötzlich ein Telegramm aus
Mailand von Alexander Moissi erhielt, er käme abends eigens meinetwegen
nach Zürich und bitte mich, ihn unbedingt zu erwarten. Sonderbar, dachte ich
mir. Was kann ihm so dringlich sein, ich habe doch kein neues Stück und bin
gegen das Theater seit Jahren recht gleichgültig geworden. Aber
selbstverständlich erwartete ich ihn mit Freuden, denn ich liebte diesen
heißen, herzlichen Menschen wirklich brüderlich. Er stürzte aus dem Waggon
auf mich zu, wir umarmten uns nach italienischer Art, und noch im Auto von
der Bahn erzählte er mir in seiner prächtigen Ungeduld, was ich für ihn tun
könne. Er habe eine Bitte an mich, eine ganz große Bitte. Pirandello habe ihm
eine besondere Ehrung erwiesen, indem er sein neues Stück ›Non si sà mai‹
ihm zur Uraufführung übertragen habe, und zwar nicht bloß für die
italienische, sondern für die wirkliche Welt-Uraufführung – sie solle in Wien
stattfinden und in deutscher Sprache. Es sei das erste Mal, daß ein solcher
Meister Italiens mit seinem Werke dem Ausland den Vorrang gebe, selbst für
Paris habe er sich nie entschlossen. Nun liege Pirandello, der befürchte, es
könnten in der Übertragung das Musikalische und die
Zwischenschwingungen seiner Prosa verlorengehen, ein Wunsch besonders
am Herzen. Er möchte gerne, daß nicht ein zufälliger Übersetzer, sondern ich,
dessen Sprachkunst er seit langem schätze, das Stück ins Deutsche übertrage.
Pirandello habe selbstverständlich gezögert, meine Zeit mit Übertragungen zu
vertun! Und so habe er es selbst übernommen, mir Pirandellos Bitte
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Die Welt von Gestern
Erinnerungen eines Europäers
- Titel
- Die Welt von Gestern
- Untertitel
- Erinnerungen eines Europäers
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1942
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 320
- Schlagwörter
- Biographie, Litertaur, Schriftsteller
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Die Welt der Sicherheit 10
- Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
- Eros Matutinus 56
- Universitas vitae 74
- Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
- Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
- Über Europa hinaus 135
- Glanz und Schatten über Europa 145
- Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
- Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
- Im Herzen Europas 189
- Heimkehr nach Österreich 208
- Wieder in der Welt 224
- Sonnenuntergang 240
- Incipit Hitler 263
- Die Agonie des Friedens 286