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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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Referate, studierte Lexika; selten habe ich ihn ohne ein Buch in Händen gesehen. Als genauer Beobachter wußte er gut darzustellen; ich lernte von ihm im Gespräch viel über das Rätsel des Ostens, und heimgekehrt, blieb ich dann mit der Familie Haushofer in freundschaftlicher Verbindung; wir wechselten Briefe und besuchten einander in Salzburg und München. Ein schweres Lungenleiden, das ihn ein Jahr in Davos oder Arosa festhielt, förderte durch die Abwesenheit vom Militär seinen Übergang in die Wissenschaft; genesen, konnte er dann im Weltkrieg ein Kommando übernehmen. Ich dachte bei dem Niederbruch oft mit großer Sympathie an ihn; ich konnte mir denken, wie er, der jahrelang an dem Aufbau der deutschen Machtposition und vielleicht auch der Kriegsmaschine in seiner unsichtbaren Zurückgezogenheit mitgearbeitet hatte, gelitten haben muß, Japan, wo er viele Freunde erworben hatte, unter den siegreichen Gegnern zu sehen. Bald erwies es sich, daß er einer der ersten war, die systematisch und großzügig an einen Neuaufbau der deutschen Machtposition dachten. Er gab eine Zeitschrift für Geopolitik heraus, und, wie es so oft geht, verstand ich nicht den tieferen Sinn dieser neuen Bewegung in ihrem Beginn. Ich meinte redlich, daß es sich nur darum handle, das Spiel der Kräfte im Zusammenwirken der Nationen zu belauschen, und selbst das Wort vom »Lebensraum« der Völker, das er, glaube ich, als erster prägte, verstand ich im Sinne Spenglers nur als die relative, mit den Epochen wandelhafte Energie, die im zeitlichen Zyklus jede Nation einmal auslöst. Auch Haushofers Forderung, die individuellen Eigenschaften der Völker genauer zu studieren und einen ständigen Instruktionsapparat wissenschaftlicher Natur aufzubauen, schien mir durchaus richtig, da ich meinte, daß diese Untersuchung ausschließlich völkerannähernden Tendenzen zu dienen hätte; vielleicht – ich kann es nicht sagen – war auch wirklich Haushofers ursprüngliche Absicht keineswegs eine politische. Ich las jedenfalls seine Bücher (in denen er mich übrigens einmal zitierte) mit großem Interesse und ohne jeden Verdacht, ich hörte von allen Objektiven seine Vorlesungen als ungemein instruktiv rühmen, und niemand klagte ihn an, daß seine Ideen einer neuen Macht- und Aggressionspolitik dienen sollten und nur die alten großdeutschen Forderungen in neuer Form ideologisch zu motivieren bestimmt seien. Eines Tages aber, als ich in München gelegentlich seinen Namen erwähnte, sagte jemand im Ton der Selbstverständlichkeit: »Ach, der Freund Hitlers?« Ich konnte nicht mehr erstaunt sein, als ich es war. Denn erstens war Haushofers Frau durchaus nicht rassenrein und seine (sehr begabten und sympathischen) Söhne vermögen den Nürnberger Judengesetzen keineswegs standzuhalten; außerdem sah ich keine direkten geistigen Bindungsmöglichkeiten zwischen einem hochkultivierten, 140
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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