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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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können. Besonders wir in Österreich spürten, daß wir im Kern der Unruhezone lagen. 1910 hatte Kaiser Franz Joseph sein achtzigstes Jahr überschritten. Lange konnte es mit dem schon zum Symbol gewordenen Greise nicht mehr dauern, und ein mystisches Gefühl begann sich Stimmungshaft zu verbreiten, nach dem Hingang seiner Person werde der Auflösungsprozeß der tausendjährigen Monarchie nicht mehr aufzuhalten sein. Innen wuchs der Druck der Nationalitäten gegeneinander, außen warteten Italien, Serbien, Rumänien und in gewissem Sinne sogar Deutschland, sich das Reich aufzuteilen. Der Balkankrieg, wo Krupp und Schneider-Creusot ihre Kanonen gegeneinander an fremdem ›Menschenmaterial‹ ausprobierten, wie späterhin die Deutschen und Italiener ihre Flugzeuge im spanischen Bürgerkrieg, zog uns immer mehr in die kataraktische Strömung. Immer schreckte man auf, aber um immer wieder aufzuatmen: ›Diesmal noch nicht. Und hoffentlich nie!‹ Nun ist es erfahrungsgemäß tausendmal leichter, die Fakten einer Zeit zu rekonstruieren als ihre seelische Atmosphäre. Sie findet ihren Niederschlag nicht in den offiziellen Geschehnissen, sondern am ehesten in kleinen, persönlichen Episoden, wie ich sie hier einschalten möchte. Ich habe, ehrlich gesagt, damals nicht an den Krieg geglaubt. Aber zweimal habe ich gewissermaßen wach von ihm geträumt und bin mit erschrockener Seele aufgefahren. Das erste Mal geschah es bei der ›Affäre Redl‹, die wie alle wichtigen Hintergrundepisoden der Geschichte wenig bekannt ist. Diesen Oberst Redl, den Helden eines der kompliziertesten Spionagedramen, hatte ich persönlich nur flüchtig gekannt. Er wohnte eine Gasse weit im selben Bezirk, einmal hatte mich im Café, wo der gemütlich aussehende, genießerische Herr seine Zigarre rauchte, mein Freund, der Staatsanwalt T., ihm vorgestellt; seitdem grüßten wir einander. Aber später erst entdeckte ich, wie sehr wir mitten im Leben vom Geheimnis umstellt sind, und wie wenig wir von Menschen im nächsten Atemraum wissen. Dieser äußerlich wie ein guter österreichischer Durchschnittsoffizier aussehende Oberst war der Vertrauensmann des Thronfolgers; ihm war das wichtige Ressort anvertraut, den Secret Service der Armee zu leiten und den der gegnerischen zu konterkarieren. Nun war durchgesickert, daß 1912 während der Krise des Balkankrieges, da Rußland und Österreich gegeneinander mobilisierten, das allerwichtigste Geheimstück der österreichischen Armee, der ›Aufmarschplan‹, nach Rußland verkauft worden war, was im Kriegsfall eine beispiellose Katastrophe hätte verursachen müssen, denn die Russen kannten damit im voraus Zug um Zug jede taktische Bewegung der österreichischen Angriffsarmee. Die Panik in den Kreisen des 154
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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