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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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ich unwillkürlich lächeln, wenn ich mich an ihn in Uniform erinnere. Eines Tages klopfte es an meine Tür. Ein Soldat stand ziemlich zaghaft da. Im nächsten Augenblick erschrak ich: Rilke – Rainer Maria Rilke in militärischer Verkleidung! Er sah so rührend ungeschickt aus, beengt von dem Kragen, verstört von dem Gedanken, jedem Offizier die Ehrenbezeigung mit zusammengeklappten Stiefeln erweisen zu müssen. Und da er in seinem magischen Zwang zur Vollendung auch diese nichtigen Formalitäten des Reglements vorbildlich genau ausführen wollte, befand er sich in einem Zustand fortwährender Bestürztheit. »Ich habe«, sagte er mir mit seiner leisen Stimme, »dieses Militärkleid seit der Kadettenschule gehaßt. Ich glaubte, ihm für immer entkommen zu sein. Und jetzt noch einmal, mit fast vierzig Jahren!« Glücklicherweise waren hilfreiche Hände da, ihn zu schützen, und er wurde bald dank einer gütigen medizinischen Untersuchung entlassen. Noch einmal kam er, um Abschied zu nehmen – nun schon wieder im Zivilkleid in mein Zimmer, ich möchte fast sagen hereingeweht (so unbeschreiblich lautlos ging er ja immer). Er wollte mir noch danken, weil ich durch Rolland versucht hatte, seine in Paris beschlagnahmte Bibliothek zu retten. Zum erstenmal sah er nicht mehr jung aus, es war, als hätte das Denken an das Grauen ihn erschöpft. »Ins Ausland«, sagte er, »wenn man nur ins Ausland könnte! Krieg ist immer Gefängnis.« Dann ging er. Ich war nun wieder ganz allein. Nach einigen Wochen übersiedelte ich, entschlossen, dieser gefährlichen Massenpsychose auszuweichen, in einen ländlichen Vorort, um mitten im Kriege meinen persönlichen Krieg zu beginnen: den Kampf gegen den Verrat der Vernunft an die aktuelle Massenleidenschaft. 176
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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