Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Biographien
Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
Seite - 178 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 178 - in Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Bild der Seite - 178 -

Bild der Seite - 178 - in Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Text der Seite - 178 -

wunderbar Rolland seine Menschlichkeit bewährte. Er hatte den einzig richtigen Weg gefunden, den der Dichter in solchen Zeiten persönlich zu nehmen hat: nicht mitzutun an der Zerstörung, am Mord, sondern – nach dem großartigen Beispiel Walt Whitmans, der als Krankenpfleger im Sezessionskriege gedient – tätig zu sein an Werken der Hilfe und der Menschlichkeit. In der Schweiz lebend, durch seine schwankende Gesundheit jedweden Kriegsdienstes enthoben, hatte er sich in Genf, wo er sich bei Kriegsausbruch befand, sofort dem ›Roten Kreuz‹ zur Verfügung gestellt und arbeitete dort in den überfüllten Räumen Tag für Tag an dem wundervollen Werke, dem ich dann später versuchte, in einem Aufsatz ›Das Herz Europas‹ öffentlichen Dank zu sagen. Nach den mörderischen Schlachten der ersten Wochen war jede Verbindung abgerissen; in allen Ländern wußten die Angehörigen nicht, ob ihr Sohn, ihr Bruder, ihr Vater gefallen oder nur vermißt oder gefangen sei, und sie wußten nicht, bei wem sie anfragen sollten, denn vom ›Feinde‹ war keine Auskunft zu erwarten. Da hatte das ›Rote Kreuz‹ die Aufgabe übernommen, inmitten des Grauens und der Grausamkeit den Menschen wenigstens die grimmigste Qual abzunehmen: die folternde Ungewißheit über das Schicksal geliebter Menschen, indem es aus den gegnerischen Ländern den Briefwechsel der Gefangenen nach der Heimat leitete. Freilich, die seit Jahrzehnten vorbereitete Organisation war nicht gefaßt gewesen auf solche Dimensionen und Millionenzahlen; täglich, stündlich mußte die Zahl der freiwilligen Hilfsarbeiter vermehrt werden, denn jede Stunde quälenden Wartens bedeutete für die Angehörigen eine Ewigkeit. Ende Dezember 1914 waren es schon dreißigtausend Briefe, die jeder Tag heranschwemmte, schließlich drängten sich in dem engen Musée Rath in Genf zwölfhundert Menschen zusammen, um die tägliche Post zu bewältigen, zu beantworten. Und mitten unter ihnen arbeitete, statt egoistisch seine eigene Arbeit zu tun, der menschlichste unter den Dichtern: Romain Rolland. Aber er hatte auch seine andere Pflicht nicht vergessen, die Pflicht des Künstlers, seine Überzeugung auszusprechen und sei es auch gegen den Widerstand seines Landes und sogar den Unwillen der ganzen kriegführenden Welt. Schon im Herbst 1914, da die meisten Schriftsteller sich in Haß überschrien und gegeneinander geiferten und belferten, hatte er jenes denkwürdige Bekenntnis ›Au-dessus de la mêlée‹ geschrieben, in dem er den geistigen Haß zwischen den Nationen bekämpfte und von dem Künstler Gerechtigkeit und Menschlichkeit selbst mitten im Krieg forderte – diesen Aufsatz, der wie kein anderer jener Zeit die Meinungen erregte und eine ganze Literatur des Dagegen und Dafür hinter sich zog. Denn dies unterschied den Ersten Weltkrieg wohltätig vom Zweiten: das Wort hatte damals noch Gewalt. Es war noch nicht zu Tode geritten von der organisierten Lüge, der ›Propaganda‹, die Menschen hörten noch auf das 178
zurück zum  Buch Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers"
Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Die Welt von Gestern