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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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es nicht dies, mein Volk, das immer wieder besiegt worden war von allen Völkern, immer wieder, immer wieder, und doch sie überdauert dank einer geheimnisvollen Kraft – eben jener Kraft, die Niederlage zu verwandeln durch den Willen, sie immer und immer wieder zu bestehen? Hatten sie es nicht vorausgewußt, unsere Propheten, dies ewige Gejagtsein und Vertriebensein, das uns auch heute wieder wie Spreu über die Straßen wirft, und hatten sie dies Unterliegen unter der Gewalt nicht bejaht und sogar als einen Weg zu Gott gesegnet? War Prüfung nicht ewig von Gewinn für alle und für den einzelnen gewesen – ich fühlte dies beglückt, während ich an diesem Drama schrieb, dem ersten, das ich von meinen Büchern vor mir selbst gelten ließ. Ich weiß heute: ohne all das, was ich mitfühlend, vorausfühlend damals während des Krieges gelitten, wäre ich der Schriftsteller geblieben, der ich vor dem Kriege gewesen, ›angenehm bewegt‹, wie man im Musikalischen sagt, aber nie gefaßt, erfaßt, getroffen bis in die innersten Eingeweide. Jetzt zum erstenmal hatte ich das Gefühl, gleichzeitig aus mir selbst zu sprechen und aus der Zeit. Indem ich versuchte, den andern zu helfen, habe ich damals mir selbst geholfen: zu meinem persönlichsten, privatesten Werk neben dem ›Erasmus‹, in dem ich mich 1934 in Hitlers Tagen aus einer ähnlichen Krise emporrang. Von dem Augenblicke, da ich versuchte, sie zu gestalten, litt ich nicht mehr so schwer an der Tragödie der Zeit. An einen sichtbaren Erfolg dieses Werkes hatte ich nicht einen Augenblick geglaubt. Durch die Begegnung so vieler Probleme, des prophetischen, des pazifistischen, des jüdischen, durch die choralische Formung der Schlußszenen, die aufsteigen in einen Hymnus des Besiegten an sein Schicksal, war der Umfang dieser Dichtung dermaßen über den normalen eines Dramas hinausgewachsen, daß eine richtige Aufführung eigentlich zwei oder drei Theaterabende erfordert hätte. Und dann – wie sollte ein Stück auf die deutsche Bühne kommen, das die Niederlage ankündigte und sie sogar rühmte, indes täglich die Zeitungen schmetterten ›Siegen oder Untergehen!‹ Ein Wunder mußte ich es schon nennen, wenn das Buch gedruckt werden durfte, aber selbst in dem schlimmsten Falle, daß dies nicht gelingen sollte, hatte es wenigstens mir selbst geholfen über die schwerste Zeit. Ich hatte alles im dichterischen Dialog gesagt, was ich im Gespräch mit den Menschen um mich verschweigen mußte. Ich hatte die Last, die mir auf der Seele lag, weggeschleudert und war mir selbst zurückgegeben; in eben der Stunde, da alles in mir ein ›Nein‹ war gegen die Zeit, hatte ich das ›Ja‹ zu mir selbst gefunden. 188
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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