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und Generalstabs, Mißtrauen gegen die Zeitungen und ihre Nachrichten,
Mißtrauen gegen den Krieg selbst und seine Notwendigkeit. Es war also
keineswegs die dichterische Leistung meines Buches, die ihm den
überraschenden Erfolg gab; ich hatte nur ausgesprochen, was die andern offen
nicht zu sagen wagten: den Haß gegen den Krieg, das Mißtrauen gegen den
Sieg.
Auf der Bühne allerdings im lebendigen gesprochenen Wort solche
Stimmung auszudrücken war scheinbar unmöglich. Demonstrationen hätten
unvermeidlich eingesetzt, und so meinte ich darauf verzichten zu müssen,
während der Kriegszeit dies erste Drama gegen den Krieg gespielt zu sehen.
Da erhielt ich plötzlich vom Direktor des Züricher Stadttheaters ein
Schreiben, er möchte meinen ›Jeremias‹ sofort auf die Bühne bringen und
lade mich ein, der Uraufführung beizuwohnen. Daran hatte ich vergessen, daß
es – so wie in diesem zweiten Kriege – noch ein kleines, aber kostbares Stück
deutscher Erde gab, dem die Gnade gewährt war, sich abseits halten zu
dürfen, ein demokratisches Land, wo das Wort noch frei, die Gesinnung
ungetrübt geblieben. Selbstverständlich stimmte ich sofort zu.
Meine Zustimmung konnte freilich zunächst nur eine prinzipielle sein;
denn sie setzte die Erlaubnis voraus, Dienst und Land für einige Zeit
verlassen zu dürfen. Nun traf es sich glücklich, daß in allen kriegführenden
Ländern eine – in diesem zweiten Kriege gar nicht etablierte – Abteilung
bestand, die sich ›Kulturpropaganda‹ nannte. Immer ist man genötigt, um den
Unterschied der geistigen Atmosphäre zwischen dem ersten und dem zweiten
Weltkriege zu verdeutlichen, darauf hinzuweisen, daß damals die Länder, die
Führer, die Kaiser, die Könige, in der Tradition der Humanität aufgewachsen,
sich im Unterbewußtsein des Krieges noch schämten. Ein Land nach dem
andern wies den Vorwurf, ›militaristisch‹ zu sein oder gewesen zu sein, als
niederträchtige Verleumdung zurück; im Gegenteil, jedes wetteiferte zu
zeigen, zu beweisen, zu erklären, zur Schau zu stellen, daß es eine
›Kulturnation‹ sei. Man warb 1914 vor einer Welt, die Kultur höher stellte als
Gewalt und die Slogans wie ›sacro egoismo‹ und ›Lebensraum‹ als
unmoralisch verabscheut hätte, um nichts dringlicher als um Anerkennung
weltgültiger geistiger Leistung. Alle neutralen Länder wurden deshalb mit
künstlerischen Darbietungen überflutet. Deutschland sandte seine Orchester
unter weltberühmten Dirigenten in die Schweiz, nach Holland, nach
Schweden, Wien seine Philharmoniker; sogar die Dichter, die Schriftsteller,
die Gelehrten wurden hinausgeschickt, undzwar nicht, um militärische Taten
zu rühmen oder annexionistische Tendenzen zu feiern, sondern einzig um
durch ihre Verse, ihre Werke zu beweisen, daß die Deutschen keine
›Barbaren‹ seien und nicht nur Flammenwerfer oder gute Giftgase
produzierten, sondern auch absolute und für Europa gültige Werte. Noch war
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Die Welt von Gestern
Erinnerungen eines Europäers
- Titel
- Die Welt von Gestern
- Untertitel
- Erinnerungen eines Europäers
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1942
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 320
- Schlagwörter
- Biographie, Litertaur, Schriftsteller
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Die Welt der Sicherheit 10
- Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
- Eros Matutinus 56
- Universitas vitae 74
- Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
- Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
- Über Europa hinaus 135
- Glanz und Schatten über Europa 145
- Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
- Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
- Im Herzen Europas 189
- Heimkehr nach Österreich 208
- Wieder in der Welt 224
- Sonnenuntergang 240
- Incipit Hitler 263
- Die Agonie des Friedens 286