Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Biographien
Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
Seite - 195 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 195 - in Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Bild der Seite - 195 -

Bild der Seite - 195 - in Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Text der Seite - 195 -

Beisammenseins der Nationen im selben Räume ohne Feindlichkeit, diese weiseste Maxime durch wechselseitige Achtung und eine ehrlich durchlebte Demokratie sprachliche und volkliche Unterschiede zur Brüderlichkeit zu erheben – welch ein Beispiel dies für unser ganzes verwirrtes Europa! Refugium aller Verfolgten, seit Jahrhunderten Heimstatt des Friedens und der Freiheit, gastlich jeder Gesinnung bei treuester Bewahrung seiner besonderen Eigenart – wie wichtig erwies sich die Existenz dieses einzig übernationalen Staates für unsere Welt! Zu Recht schien mir dies Land mit Schönheit gesegnet, mit Reichtum bedacht. Nein, hier war man nicht fremd; ein freier, unabhängiger Mensch fühlte sich in dieser tragischen Weltstunde hier mehr zu Hause als in seinem eigenen Vaterland. Stundenlang trieb es mich noch nachts in Zürich durch die Straßen und am Seeufer entlang. Die Lichter schimmerten Frieden, hier hatten die Menschen noch die gute Gelassenheit des Lebens. Ich meinte zu spüren, daß hinter den Fenstern nicht schlaflos Frauen in den Betten lagen und an ihre Söhne dachten, ich sah keine Verwundeten, keine Verstümmelten, nicht die jungen Soldaten, die morgen, übermorgen in die Züge verladen werden sollten – man fühlte sich hier berechtigter zu leben, während es im Kriegslande schon eine Scheu gewesen und fast eine Schuld, noch unverstümmelt zu sein. Aber nicht die Besprechungen wegen meiner Aufführung, nicht die Begegnung mit Schweizer und ausländischen Freunden waren mir das Dringlichste. Ich wollte vor allem Rolland sehen, den Mann, von dem ich wußte, daß er mich fester, klarer und tätiger machen konnte, und ich wollte ihm danken für das, was mir sein Zuspruch, seine Freundschaft in den Tagen bitterster Seeleneinsamkeit gegeben. Zu ihm mußte mein erster Weg gehen, und ich fuhr sofort nach Genf. Nun befanden wir ›Feinde‹ uns eigentlich in einer ziemlich komplizierten Position. Es war selbstverständlich von den kriegführenden Regierungen nicht gerne gesehen, daß ihre Angehörigen mit jenen der feindlichen Nationen auf neutralem Gebiete persönlichen Verkehr pflegten. Aber es war andererseits durch kein Gesetz verboten. Es gab keinen einzigen Paragraphen, nach dem man für ein Beisammensein bestraft werden konnte. Verboten und Hochverrat gleichgestellt blieb einzig geschäftlicher Verkehr, ›Handel mit dem Feinde‹, und um uns auch nicht durch die leiseste Umgehung dieses Verbots verdächtig zu machen, vermieden wir Freunde sogar prinzipiell, uns eine Zigarette anzubieten, denn man war zweifelsohne ununterbrochen von zahllosen Agenten beobachtet. Um jeden Verdacht, als ob wir uns fürchteten oder schlechten Gewissens wären, zu entgehen, wählten wir internationalen Freunde die einfachste Methode: die der Offenheit. Wir schrieben uns nicht unter Deckadressen oder poste restante, wir schlichen uns nicht etwa nachts heimlich zueinander, sondern gingen zusammen über die Straßen und saßen offen in den Cafés. So meldete ich mich auch gleich nach 195
zurück zum  Buch Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers"
Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Die Welt von Gestern