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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
Seite - 197 -
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stets mit einem leichten Hüsteln zu kämpfen hatte, der nie ohne umgelegten Shawl einen Gang betreten konnte und nach jedem raschen Schritt innehalten mußte, setzte damals Kräfte ein, die an der Größe der Anforderung ins Unwahrscheinliche gewachsen waren. Nichts konnte ihn erschüttern, kein Angriff, keine Perfidie; furchtlos und klar blickte er in den Welttumult. Hier sah ich den andern Heroismus, den geistigen, den moralischen, denkmalhaft in einer lebendigen Gestalt – selbst in meinem Buche über Rolland habe ich ihn vielleicht nicht genug geschildert (weil man bei Lebenden eine Scheu hat, sie zu sehr zu rühmen). Wie tief ich damals erschüttert und, wenn ich so sagen darf, ›gereinigt‹ war, als ich ihn sah, in diesem winzigen Zimmer, von dem unsichtbar stärkende Strahlung ausging in alle Zonen der Welt, habe ich noch nach Tagen im Blute gefühlt, und ich weiß: die aufrichtende, die tonische Kraft, die damals Rolland schuf dadurch, daß er allein oder fast allein den sinnlosen Haß von Millionen bekämpfte, gehört zu jenen Imponderabilien, die sich jeder Messung und Berechnung versagen. Nur wir, die Zeugen jener Zeit, wissen, was sein Dasein und sein vorbildliches Unerschütterlichsein damals bedeutet hat. Durch ihn hatte das in Tollwut verfallene Europa sein moralisches Gewissen bewahrt. Mich ergriff in den Gesprächen jenes Nachmittags und der nächsten Tage die leise Trauer, die alle seine Worte umhüllte, die gleiche, wie wenn man mit Rilke vom Kriege sprach. Er war voll Erbitterung über die Politiker und diejenigen, welche für ihre nationale Eitelkeit nicht genug bekommen konnten an fremden Opfern. Aber gleichzeitig schwang immer Mitleid mit für die Unzähligen, die litten und starben für einen Sinn, den sie selbst nicht verstanden, und der doch nur ein Widersinn war. Er zeigte mir das Telegramm Lenins, der – vor seiner Abreise aus der Schweiz in jenem berüchtigten plombierten Eisenbahnzug – ihn beschworen, nach Rußland mitzukommen, weil er wohl verstand, wie wichtig die moralische Autorität Rollands für seine Sache gewesen wäre. Aber Rolland blieb fest entschlossen, keiner Gruppe sich zu verschreiben, sondern unabhängig nur mit der eigenen Person der Sache zu dienen, der er sich verschworen: der gemeinsamen. So wie er niemandes Unterwerfung unter seine Ideen forderte, verweigerte er sich jeder Bindung. Wer ihn liebte, sollte selbst ungebunden bleiben, und er wollte kein anderes Beispiel geben als dies eine: wie man frei bleiben kann und getreu seiner eigenen Überzeugung auch gegen die ganze Welt. In Genf begegnete ich gleich am ersten Abend auch der kleinen Gruppe der Franzosen und anderen Ausländern, die sich um zwei kleine unabhängige Zeitungen ›La Feuille‹ und ›Demain‹ sammelten, J. P. Jouve, René Arcos, Frans Masereel. Wir wurden innige Freunde mit jenem raschen Elan, 197
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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