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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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präpariertes Papier, Ersatz eines Ersatzes; die Männer schlichen fast ausschließlich in alten, sogar russischen Uniformen herum, die sie aus einem Depot oder einem Krankenhaus geholt hatten und in denen schon mehrere Menschen gestorben waren; Hosen, aus alten Säcken gefertigt, waren nicht selten. Jeder Schritt durch die Straßen, wo die Auslagen wie ausgeraubt standen, der Mörtel wie Grind von den verfallenen Häusern herabkrümelte und die Menschen, sichtlich unterernährt, sich nur mühsam zur Arbeit schleppten, machte einem die Seele verstört. Besser stand es am flachen Lande mit der Ernährung; bei dem allgemeinen Niederbruch der Moral dachte kein Bauer daran, seine Butter, seine Eier, seine Milch zu den gesetzlich festgelegten ›Höchstpreisen‹ abzugeben. Er hielt, was er konnte, in seinen Speichern versteckt und wartete, bis Käufer mit besserem Angebot zu ihm ins Haus kamen. Bald entstand ein neuer Beruf, das sogenannte ›Hamstern‹. Beschäftigungslose Männer nahmen ein oder zwei Rucksäcke und wanderten von Bauer zu Bauer, fuhren sogar mit der Bahn an besonders ergiebige Plätze, um illegal Lebensmittel aufzutreiben, die sie dann in der Stadt zum vierfachen und fünffachen Preise verhökerten. Erst waren die Bauern glücklich über das viele Papiergeld, das ihnen für ihre Eier und ihre Butter ins Haus regnete, und das sie ihrerseits ›hamsterten‹. Sobald sie aber mit ihren vollgestopften Brieftaschen in die Stadt kamen, um dort Waren einzukaufen, entdeckten sie zu ihrer Erbitterung, daß, während sie für ihre Lebensmittel nur das Fünffache verlangt hatten, die Sense, der Hammer, der Kessel, den sie kaufen wollten, unterdes um das Zwanzigfache oder Fünfzigfache im Preise gestiegen war. Von nun ab suchten sie nur industrielle Objekte sich beizulegen und forderten Sachwert für Sachwert. Ware für Ware; nachdem die Menschheit mit dem Schützengraben schon glücklich zur Höhlenzeit zurückgeschritten war, löste sie auch die tausendjährige Konvention des Geldes und kehrte zum primitiven Tauschwesen zurück. Durch das ganze Land begann ein grotesker Handel. Die Städter schleppten zu den Bauern hinaus, was sie entbehren konnten, chinesische Porzellanvasen und Teppiche, Säbel und Flinten, photographische Apparate und Bücher, Lampen und Zierat; so konnte man, wenn man in einen Salzburger Bauernhof trat, zu seiner Überraschung einen indischen Buddha einen anstarren sehen oder einen Rokokobücherschrank mit französischen Lederbänden aufgestellt finden, auf den die neuen Eigner mit besonderem Stolz sich viel zugute taten. ›Echtes Leder! Frankreich!‹ protzten sie mit breiten Backen. Substanz, nur kein Geld, das wurde die Parole. Manche mußten sich den Ehering vom Finger und den Lederriemen vom Leibe ziehen, nur um den Leib zu nähren. Schließlich mengten sich die Behörden ein, um diesen Schleichhandel zu stoppen, der in seiner Praxis ausschließlich den Begüterten zugute kam; von Provinz zu Provinz wurden ganze Kordons aufgestellt, um auf Fahrrädern und 214
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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