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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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herauszugeben, dann könnten alle diese Werke, die zweifellos überzeitlichen Gehalt haben, erneut lebendig in unserer Zeit wirken. Diese Abneigung gegen alles Weitschweifige und Langwierige mußte sich notwendigerweise von der Lektüre fremder Werke auf das Schreiben der eigenen übertragen und mich zu einer besonderen Wachsamkeit erziehen. An und für sich produziere ich leicht und fließend, in der ersten Fassung eines Buches lasse ich die Feder locker laufen und fabuliere weg, was mir am Herzen liegt. Ebenso verwerte ich bei einem biographischen Werke zunächst alle nur denkbaren dokumentarischen Einzelheiten, die mir zu Gebote stehen; bei einer Biographie wie ›Marie Antoinette‹ habe ich tatsächlich jede einzelne Rechnung nachgeprüft, um ihren persönlichen Verbrauch festzustellen, alle zeitgenössischen Zeitungen und Pamphlete studiert, alle Prozeßakten bis auf die letzte Zeile durchgeackert. Aber im gedruckten Buch ist von all dem keine Zeile mehr zu finden, denn kaum daß die erste ungefähre Fassung eines Buches ins Reine geschrieben ist, beginnt für mich die eigentliche Arbeit, die des Kondensierens und Komponierens, eine Arbeit, an der ich mir von Version zu Version nicht genug tun kann. Es ist ein unablässiges Ballast-über- Bord-werfen, ein ständiges Verdichten und Klären der inneren Architektur; während die meisten andern sich nicht entschließen können, etwas zu verschweigen, was sie wissen, und mit einer gewissen Verliebtheit in jede gelungene Zeile sich weiter und tiefer zeigen wollen, als sie eigentlich sind, ist es mein Ehrgeiz, immer mehr zu wissen, als nach außen hin sichtbar wird. Dieser Prozeß der Kondensierung und damit Dramatisierung wiederholt sich dann noch einmal, zweimal und dreimal bei den gedruckten Fahnen; es wird schließlich eine Art lustvoller Jagd, noch einen Satz oder auch nur ein Wort zu finden, dessen Fehlen die Präzision nicht vermindern und gleichzeitig das Tempo steigern könnte. Innerhalb meiner Arbeit ist mir die des Weglassens eigentlich die vergnüglichste. Und ich erinnere mich, daß einmal, als ich besonders zufrieden von meiner Arbeit aufstand und meine Frau mir sagte, mir scheine heute etwas Außergewöhnliches geglückt zu sein, ich ihr stolz antwortete: »Ja, es ist mir gelungen, noch einen ganzen Absatz wegzustreichen und dadurch einen rapideren Übergang zu finden.« Wenn also manchmal an meinen Büchern das mitreißende Tempo gerühmt wird, so entstammt diese Eigenschaft keineswegs einer natürlichen Hitze oder inneren Erregtheit, sondern einzig jener systematischen Methode der ständigen Ausschaltung aller überflüssigen Pausen und Nebengeräusche, und wenn ich mir irgendeiner Art der Kunst bewußt bin, so ist es die Kunst des Verzichtenkönnens, denn ich klage nicht, wenn von tausend geschriebenen Seiten achthundert in den Papierkorb wandern und nur zweihundert als die durchgesiebte Essenz zurückbleiben. Wenn irgend etwas, so hat mir die strenge Disziplin, mich lieber auf engere Formen, aber immer auf das 235
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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