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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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Jugend nicht mehr um mich habe, bin ich genötigt, selbst wieder jung zu werden.« Aber einige Jahre mußten erst vergehen, bis auch ich verstand, daß Prüfung herausfordert, Verfolgung bestärkt und Vereinsamung steigert, sofern sie einen nicht zerbricht. Wie alle wesentlichen Dinge des Lebens lernt man derlei Erkenntnisse nie an fremden Erfahrungen, sondern immer nur an dem eigenen Schicksal. Daß ich den wichtigsten Mann Italiens, Mussolini, nie gesehen habe, ist meiner Gehemmtheit zuzuschreiben, mich politischen Persönlichkeiten zu nähern; selbst in meinem Vaterlande, dem kleinen Österreich, bin ich, was eigentlich ein Kunststück war, keinem von den führenden Staatsmännern – nicht Seipel, nicht Dollfuß, nicht Schuschnigg – je begegnet. Und doch wäre es meine Pflicht gewesen, Mussolini, der, wie ich von gemeinsamen Freunden wußte, einer der ersten und besten Leser meiner Bücher in Italien war, persönlich Dank zu sagen für die spontane Art, in der er mir die erste Bitte, die ich je an einen Staatsmann gerichtet, erfüllt hatte. Das kam so. Eines Tages erhielt ich einen Eilbrief eines Freundes aus Paris, eine italienische Dame wolle mich in einer wichtigen Angelegenheit in Salzburg besuchen, ich möchte sie sofort empfangen. Sie meldete sich am nächsten Tage, und was sie mir sagte, war wirklich erschütternd. Ihr Mann, ein hervorragender Arzt aus armer Familie, war von Matteotti auf seine Kosten erzogen worden. Bei der brutalen Ermordung dieses sozialistischen Führers durch die Faschisten hatte das schon stark ermüdete Weltgewissen noch einmal erbittert gegen ein einzelnes Verbrechen reagiert. Ganz Europa hatte sich in Entrüstung erhoben. Der getreue Freund war nun einer jener sechs Couragierten gewesen, die damals gewagt hatten, öffentlich den Sarg des Ermordeten durch die Straßen von Rom zu tragen; kurz darauf war er, boykottiert und bedroht, ins Exil gegangen. Aber das Schicksal der Familie Matteottis ließ ihm keine Ruhe, er wollte in Erinnerung an seinen Wohltäter dessen Kinder aus Italien ins Ausland schmuggeln. Bei diesem Versuch war er in die Hände von Spionen oder Agents provocateurs gefallen und verhaftet worden. Da jede Erinnerung an Matteotti für Italien peinlich war, hätte ein Prozeß aus diesem Anlaß kaum sehr schlimm für ihn ausfallen können; aber der Prokurator schob ihn geschickt in einen anderen gleichzeitigen Prozeß hinüber, dem ein geplantes Bombenattentat gegen Mussolini zugrunde lag. Und der Arzt, der im Felde die höchsten Kriegsdekorationen erworben hatte, wurde zu zehn Jahren schwerem Zuchthaus verurteilt. Die junge Frau war verständlicherweise ungeheuer erregt. Man müsse etwas gegen dieses Urteil tun, das ihr Mann nicht überleben könne. Man 252
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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