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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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gleichgültig. Er hatte dem deutschen Kaiser gedient als Kapellmeister und für ihn Militärmärsche instrumentiert, dann dem Kaiser von Österreich als Hofkapellmeister in Wien, war aber ebenso in der österreichischen und deutschen Republik persona gratissima gewesen. Den Nationalsozialisten besonders entgegenzukommen, war außerdem von vitalem Interesse für ihn, da er in nationalsozialistischem Sinne ein mächtiges Schuldkonto hatte. Sein Sohn hatte eine Jüdin geheiratet, und er mußte fürchten, daß seine Enkel, die er über alles liebte, als Auswurf von den Schulen ausgeschlossen würden; seine neue Oper war durch mich belastet, seine früheren Opern durch den nicht ›rein arischen‹ Hugo von Hofmannsthal, sein Verleger war ein Jude. Um so dringlicher schien ihm geboten, sich Rückhalt zu schaffen, und er tat es in beharrlichster Weise. Er dirigierte, wo die neuen Herren es gerade verlangten, er setzte für die Olympischen Spiele eine Hymne in Musik und schrieb mir gleichzeitig in seinen unheimlich freimütigen Briefen über diesen Auftrag mit wenig Begeisterung. In Wirklichkeit bekümmerte ihn im sacro egoismo des Künstlers nur eines: sein Werk in lebendiger Wirksamkeit zu erhalten und vor allem die neue Oper aufgeführt zu sehen, die seinem Herzen besonders nahestand. Mir mußten derlei Konzessionen an den Nationalsozialismus selbstverständlich im höchsten Maße peinlich sein. Denn wie leicht konnte der Eindruck entstehen, als ob ich heimlich mitwirkte oder auch nur zustimmte, daß mit meiner Person eine einmalige Ausnahme in einem so schmählichen Boykott gemacht würde. Von allen Seiten drängten meine Freunde auf mich ein, öffentlich gegen eine Aufführung im nationalsozialistischen Deutschland zu protestieren. Aber erstens verabscheue ich prinzipiell öffentliche und pathetische Gesten, außerdem widerstrebte es mir, einem Genius von Richard Strauss’ Range Schwierigkeiten zu bereiten. Strauss war schließlich der größte lebende Musiker und siebzig Jahre alt, er hatte drei Jahre an dieses Werk gewandt und während dieser ganzen Zeit mir gegenüber freundschaftliche Gesinnung, Korrektheit und sogar Mut bezeigt. Deshalb hielt ich es meinerseits für das Richtige, schweigend zuzuwarten und die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Außerdem wußte ich, daß ich durch nichts den neuen Hütern der deutschen Kultur mehr Schwierigkeiten bereitete als durch vollkommene Passivität. Denn die nationalsozialistische Reichsschrifttumskammer und das Propagandaministerium suchten doch nur nach einem willkommenen Vorwand, um ein Verbot gegen ihren größten Musiker auf stichhaltigere Weise begründen zu können. So wurde zum Beispiel von allen denkbaren Ämtern und Personen das Libretto eingefordert in der geheimen Hoffnung, einen Vorwand zu finden. Wie bequem wäre es gewesen, hätte die ›Schweigsame Frau‹ eine Situation enthalten wie etwa jene im ›Rosenkavalier‹, wo ein junger Mann aus dem Schlafzimmer einer 274
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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