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Diskussion dermaßen spannend – Ernst im Spiel und Spiel im Ernst, ein
scharfes Gegeneinander zweier polarer Charaktere, das nur scheinbar am
Sachlichen sich entzündete, in Wirklichkeit aber in mir unbekannten Gründen
und Hintergründen unwandelbar festgelegt war. Jedenfalls hatte ich die beiden
besten Männer Englands in einem ihrer besten Augenblicke gesehen, und die
Fortsetzung dieser Polemik, die in den nächsten Wochen in der ›Nation‹ in
gedruckter Form ausgetragen wurde, bereitete mir dann nicht ein Hundertstel
der Lust wie dieser temperamentvolle Dialog, weil hinter den abstrakt
gewordenen Argumenten nicht mehr der lebendige Mensch, nicht mehr die
eigentliche Wesenheit so sichtbar wurde. Aber selten habe ich das
Phosphoreszieren von Geist zu Geist durch gegenseitige Reibung so sehr
genossen, in keiner Theaterkomödie die Kunst des Dialogs – nie vordem und
nie nachdem – so virtuos geübt gesehen wie bei diesem Anlaß, da sie
absichtslos, untheatralisch und in den nobelsten Formen sich vollendete.
Aber nur räumlich und nicht mit meiner ganzen Seele lebte ich in jenen
Jahren in England. Und es war gerade die Sorge um Europa, diese
schmerzhaft auf unsere Nerven drückende Sorge, die mich in diesen Jahren
zwischen Hitlers Machtergreifung und dem Ausbruch des zweiten
Weltkrieges viel reisen und sogar zweimal über den Ozean fahren ließ.
Vielleicht drängte mich das Vorgefühl, daß man sich, solange die Welt
offenstand und Schiffe friedlich ihre Bahn über die Meere ziehen durften, für
dunklere Zeiten an Eindrücken und Erfahrungen aufspeichern sollte, soviel
das Herz zu fassen vermochte, vielleicht auch die Sehnsucht, zu wissen, daß,
während unsere Welt sich durch Mißtrauen und Zwietracht zerstörte, eine
andere sich aufbaute, vielleicht sogar eine noch ganz dämmerhafte Ahnung,
daß unsere und selbst meine persönliche Zukunft jenseits von Europa läge.
Eine Vortragsreise quer durch die Vereinigten Staaten bot mir willkommene
Gelegenheit, dieses mächtige Land in all seiner Vielfalt und doch inneren
Geschlossenheit von Osten nach Westen, von Norden nach Süden zu sehen.
Aber noch stärker wurde vielleicht der Eindruck Südamerikas, wohin ich
gerne einer Einladung zum Kongreß des Internationalen Penklubs folgte; nie
schien es mir wichtiger als in jenem Augenblick, den Gedanken der geistigen
Solidarität über Länder und Sprachen hin zu bekräftigen. Die letzten Stunden
in Europa vor dieser Reise gaben noch bedenkliche Mahnung auf den Weg
mit. In jenem Sommer 1936 hatte der spanische Bürgerkrieg begonnen, der
oberflächlich gesehen nur ein innerer Zwist dieses schönen und tragischen
Landes, in Wirklichkeit aber schon das vorbereitende Manöver der beiden
ideologischen Machtgruppen für ihren künftigen Zusammenstoß war. Ich war
von Southhampton mit einem englischen Schiff abgefahren und eigentlich der
Meinung, der Dampfer werde, um dem Kriegsgebiet auszuweichen, die sonst
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Die Welt von Gestern
Erinnerungen eines Europäers
- Titel
- Die Welt von Gestern
- Untertitel
- Erinnerungen eines Europäers
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1942
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 320
- Schlagwörter
- Biographie, Litertaur, Schriftsteller
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Die Welt der Sicherheit 10
- Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
- Eros Matutinus 56
- Universitas vitae 74
- Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
- Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
- Über Europa hinaus 135
- Glanz und Schatten über Europa 145
- Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
- Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
- Im Herzen Europas 189
- Heimkehr nach Österreich 208
- Wieder in der Welt 224
- Sonnenuntergang 240
- Incipit Hitler 263
- Die Agonie des Friedens 286