22. Dezember - Krippenspiel und Kindelwiegen#
© Dr. Helga Maria Wolf
"Ihr werdet ein Kind finden, das in Windeln gewickelt in einer Krippe
liegt", lässt der Evangelist Lukas den Engel zu den Hirten sagen, die
daraufhin nach Bethlehem eilen (Lk 2, 12-16). Der biblische Autor verrät
nicht, ob diese Krippe in einem Stall oder einer Höhle stand. Während
die Künstler der Westkirche dem Stall den Vorzug gaben, zeigen die
orthodoxen Ikonen eine Höhle, in der das Wickelkind in einem Trog und
Maria im Wochenbett auf einer roten Matratze liegt.
Der Kirchenvater Origenes meinte an der Wende zum 2. Jahrhundert, jeder
in Bethlehem kenne die Geburtshöhle mit der Krippe Jesu. An dem
geheiligten Ort ließ Kaiserin Helena anno 335 eine Kirche bauen. Nur
wenige Jahrzehnte jünger war die Krippenkapelle in der römischen
Basilika S. Liberiana, nach ihrem Bauherrn Papst Liberius benannt. Nach
dem Konzil von Ephesos, das 431 den Titel "Gottesmutter" (Theotokos) für
Maria bestätigte, wurde daraus die erste Marienkirche Roms und die
bedeutendste des Abendlandes, "Santa Maria Maiore" (Maggiore). Ihre
Bezeichnung "Santa Maria del Presepe" verweist auf die Krippe Jesu. Hier
wurden, seit 1170 nachweisbar, fünf vermeintliche Brettchen der Krippe
Christi verwahrt. Dieses "Bethlehem in Rom" dürfte der Ursprung der
Mitternachtsmette gewesen sein und zu
bildhaften Darstellungen der Geburt Christi angeregt haben.
Die szenische Darstellung der Weihnachtsgeschichte in lateinischer
Sprache nach dem Modell des Osterspiels wird
in Verbindung mit der Mette im 12. Jahrhundert in Rouen Frankreich)
fassbar: "Wen sucht ihr in der Krippe, ihr Hirten? Sprecht" - "Den
Heiland, Christus den Herrn, das in Windeln gewickelte Kind, wie es der
Engel verkündet hat." - "Es ist hier, das kleine Kind mit Maria, seiner
Mutter." Eines der ältesten Weihnachtsspiele ist das um 1225 in der
Handschrift Carmina Burana überlieferte "Ludus de Nativirare Domini
Benedictoburanus".
Als Andachtsübung im privaten und halböffentlichen Bereich wie auch als
liturgieergänzender Brauch war das "Kindelwiegen" beliebt.
Es stand in Verbindung mit der klösterlichen
Jesuskindmystik und verdankte seine Popularität den Volksmissionen der
Bettelorden in Italien und Deutschland. In einer kleinen Wiege oder
Krippe lag "ein schön aufgeputztes Christkind, zumeist aus Wachs, das
von Mitgliedern der Gemeinde oder auch von umherziehenden Kindern unter
Absingen entsprechender Lieder gewiegt werden durfte". Dazu schrieb der
Mönch von Salzburg das Lied "Joseph, lieber nefe mein, hilf mir wiegen
mein kindelein". Die Anrede "nefe" bzw. "muehme" als
Verwandtschaftsbezeichnungen sollten die Jungfräulichkeit Marias
betonen. Die älteste erhaltene Figur des göttlichen Wickelkindes stammt
aus der Zeit um 1320. Bis ins 19. Jahrhundert folgten ihm unzählige
stehende, sitzende, liegende, nackte oder wenig bekleidete
Jesuskindfiguren ("Il Bambino Gesu").
Die Humanisten kritisierten die katholischen Volksschauspiele. So
lieferte der Kolmarer Ratsschreiber Jörg Wickram eine Satire "Von einem
weyhenachtkind und dem Joseph, wie er im ein müßlin kochet inn der
kirchen und einander in der kirchen schlugen". Zugrunde liegt der um
1510 im Bistum Köln geübte Brauch, dass ein Schüler das
Jesuskind in der Wiege darstellte. Dieses begann zu weinen, wurde von
der Maria gewiegt, Josef eilte herbei, einen Brei zu kochen, aber das
Kind schrie immer lauter. Josef wusste sich nicht anders zu helfen, als
ihm einen Löffel mit dem brennheißen Mus in den Mund zu stecken. Der
Jesus-Darsteller wehrte sich, schlug den Nährvater, warf ihn zu Boden
und "gienge dermassen mit im umb, daß die leut, so in
der kirchen waren, dem Joseph zu hilff mußten kommen". Hier wird die
religiöse Übung zum Stoff eines propagandistischen Schwankes. Die
gemütvollen Krippenszenen eigneten sich als volksmissionarisches
Mittel. Besonders auf Initiative der Jesuiten wurden seit
1560 Kirchenkrippen aufgestellt: 1560 in Coimbra (Portugal), 1563 in
Prag, 1579 in Graz.
Der Welle gegenreformatorischer Begeisterung folgte nach zwei
Jahrhunderten die Ernüchterung. Bereits Maria Theresia begann 1752 mit
"Reformen in Religionssachen". Ihr Mitregent und Nachfolger Joseph II.
verbot 1777 Volksschauspiele wie Krippen- und Dreikönigsspiele. Der 5.
Reform-Hirtenbrief des Salzburger Erzbischofs Hieronymus Graf Colloredo
(1782) bildete den Endpunkt der Vorschriften des aufgeklärten
Absolutismus. Die Argumentation der unpopulären Maßnahmen war schon
deshalb nicht einfach, weil adelige Konsistorialherren vieles nun
Verpönte erst vor einem Jahrhundert gestiftet hatten. "Sinnliche
Darstellungen gewisser Religionsgegebenheiten waren nur in einem solchen
Zeitraume nützlich oder gar nothwendig, in welchem ... das Volk noch auf
einer so niedrigen Stufe der Cultur und der
Aufklärung stand, daß man leichter durch Versinnlichung der Gegenstände
als durch mündlichen Unterricht und Belehrung auf den Verstand wirken
und dem Gedächtnisse nachhelfen konnte. Zu diesen sinnlichen
Darstellungen gehören die sogenannten Krippen", formulierte die
bayrische Regierung 1803. Nun aber sei die religiöse Aufklärung so weit
fortgeschritten, dass es "solcher Vehikel" nicht mehr bedürfe, Beamte
und Pfarrer sollten die Aufstellung nicht mehr gestatten. Allerdings
wurden nicht alle Kirchenkrippen vernichtet, sondern viele auf Dachböden
versteckt. Die Verbote des 18. Jahrhunderts führten zu einer neuen
Krippenkultur in den Privathäusern.
Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist die "Krippenbewegung" in Wien
aktiv. Die Pflege alter Krippentraditionen und die Schaffung neuer
Krippenkultur sind Ziele des "Vereins von Krippenfreunden Wien -
Niederösterreich". Besonders populär ist die seit Jahrzehnten während
des Advents in der Krypta der Wiener Peterskirche abgehaltene
Krippenschau mit Hunderten Exponaten. Zu den Ergebnissen der vom Verein
veranstalteten Kurse kommen wertvolle Leihgaben.
Die Marionettenbühnen der Barock- und Biedermeierzeit zeigten als
"weihnachtlichen Ableger" Krippenspiele. 1802 staunte ein russischer
Reisender: "Dieses Krippenspiel ist eine Art von geistlichem
Marionettenspiel, wo man während der Adventszeit Szenen aus der
biblischen Geschichte mit kleinen hölzernen Figuren darstellt. Ein
Anschlagzettel, der uns in 29 Akten von der Erschaffung der Welt bis zu
einer großen Schlittenfahrt das Wichtigste aus dem Alten und Neuen
Testament, unter anderem auch eine neu verbesserte Sündflut versprach,
wo es mit natürlichem Wasser regnen sollte, welches gewiß merkwürdig zu
sehen wäre, lockte unsere Neugier. Wir fanden in einer Stube eine Menge
Menschen, die in stiller Erwartung vor einem Guckloch saßen, das uns
durch einen bemalten Schieber die versprochenen Herrlichkeiten verbarg.
Jetzt rauschte es aber hinter
der dünnen Wand; einzelne heulende Töne klangen hervor und nach langem
Kampfe folgten endlich ein paar Takte von dem bekannten ,Ach du lieber
Augustin'. Es war, als schämte sich die Leier, uns diesen Gassenhauer
als Ouverillre vor der Erschaffung der Welt hören zu lassen; allein es
half nichts; ihr unbarmherziger Herr zwickte sie so lange, bis sie das
ganze Lied von sich gegeben hatte. Endlich fiel der Vorhang, im
lächerlichen Kontrast mit den hinaufrollenden Theaterdecken und wir
sahen, nicht lange nachher, als die Welt erschaffen war, Menschen und
Vieh in einer Kanne Wasser (denn so viel mochte unser Gott wohl haben
durch ein Sieb laufen lassen) gar gräßlich umkommen... Es ist nicht
möglich, die Szenen so zu schildern, wie sie dargestellt wurden; allein
ich kann dir versichern, dass wir durch die Maschinerien und die gut
gearbeiteten Figuren, die fast
immer anders gestikulierten, als sie sprachen und durch die komischen
Anachronismen viel besser amüsiert und öfter zum Lachen gebracht wurden
als vom Kasperle."