Die Energiewende ist möglich#
Statt Zukunftsprojekte zu diskutieren, sollten wir mit der heute verfügbaren Technik handeln.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 24. September 2019
Von
Kurt Baier
Die weltweite Mitteltemperatur ist seit der Kyoto-Vereinbarung aus dem Jahr 1997 um 0,5 Grad angestiegen. Schreibt man diese Kurve weiter, wird sie 2050 um mehr als 0,5 Grad über dem vereinbarten Ziel von 2 Grad maximaler Erwärmung liegen. Unsere Kinder mahnen uns zum Handeln. Doch wir sind noch in den unsinnigsten Diskussionen gefangen, wie zum Beispiel, ob Wasserstoffautos besser sind als E-Autos, weil man wie gewohnt nur fünf Minuten zum Tanken braucht. Ganz abgesehen davon, dass Wasserstoff ein energievernichtender Umweg ist, weil etwa die Hälfte der eingesetzten Energie in der Kette Elektrolyse-Wasserstoff-Brennstoffzelle verloren geht, ist die E-Mobilität bereits auf der Straße angekommen.
Statt Zukunftsprojekte zu diskutieren - wie zum Beispiel Wasserstoff anstelle von Kohle im Hochofen oder E-Oberleitungen für Lkw auf Autobahnen, also Projekte, die erst 2040 oder später greifen würden -, sollten wir umgehend mit der heute zur Verfügung stehenden Technik handeln. Technisch und auch wirtschaftlich haben wir folgende Hebel:
Strom aus Wind und Sonne; Ausstieg aus dem Kohlestrom; E-Mobilität; Ausstieg aus Biokraftstoffen; Aufforstung.
Österreichs Stromverbrauch ist seit zehn Jahren konstant#
Können wir mit Wind und Sonne genügend Strom erzeugen? Im Jahr 2017 (jüngste vollständige Energiestatistik) haben wir in Österreich 63.000 GWh Strom verbraucht. Dieses Niveau können wir auch bei einer Zunahme elektrischer Geräte mit besserer Technik halten. Seit zehn Jahren ist der Stromverbrauch in Österreich trotz zusätzlicher Wärmepumpen konstant. Der Strom wurde etwa mit LED-Beleuchtung eingespart. Um fossile Energie zu ersetzen, wird aber zusätzlicher Strom erforderlich.
Eine vollständige Umstellung des gesamten Verkehrs auf Strom braucht 30.000 GWh, und für Wasserstoff in der Industrie (Hochofen, Dünger, Kunststoffe) werden weitere 35.000 GWh benötigt. In Summe also ein Bedarf von aufgerundet 130.000 GWh Strom. Mit den bestehenden Wasserkraftwerken können wir 35.000 GWh decken, so brauchen wir von der Sonne 35.000 GWh (aktuelle Erzeugung: 1250 GWh) und vom Wind 60.000 GWh (aktuell: 6200 GWh) oder 350 Quadratkilometer Photovoltaik-Module und 800 Quadratkilometer Fläche für Windräder.
Allein die mit Gebäuden verbaute Fläche von 750 Quadratkilometern ist in Österreich mehr als doppelt so groß wie der Energiewende-Flächenbedarf für Photovoltaik-Anlagen. Die Siedlungen in Österreich bedecken 3000 Quadratkilometer. Auch wenn die benötigten Windräder nur halb so viel Fläche beanspruchen wie die Siedlungen, werden sie zu einem wesentlichen Bestandteil des Landschaftsbildes. Aber wenn wir unter diesen Windrädern unsere Ökosysteme retten können, dann ist es das wert. Keinesfalls sollten wir auf Photovoltaik-Anlagen in der Sahara oder Windräder in der Nordsee hoffen. Die erforderlichen Hochspannungsleitungen quer durch Europa wird es nicht geben, nicht nur wegen unüberwindbarer Bürgerproteste. Sie kosten Geld, das man besser und schneller wirksam in verbrauchernahe Windräder investiert.
Für die Finanzierung von Wind und Sonne wird immer wieder eine CO2-Steuer angedacht. Doch eine billige wie derzeit 35 Euro je Tonne hat keinen Lenkungseffekt, und eine wirksame mit 350 Euro je Tonne ist für große Teile der Bevölkerung zu hoch. Sie würde den Liter Diesel oder Heizöl mit 92,4 Cent belasten. Für einen Haushalt mit 20.000 Auto-Kilometern und 2500 Liter für die Ölheizung ergäbe das eine monatliche Mehrbelastung von 308 Euro.
Kohlestrom besteuern, keinen Biodiesel mehr beimengen#
Ein praktikablerer Weg wäre die Besteuerung von Kohlestrom. Mit der eingenommenen Steuer können Wind und Sonne gestützt werden. Dies würde auch den Ausstieg aus der zu billigen Kohle beschleunigen. Aktuell kostet Kohlestrom nämlich 4 Cent/kWh. Die Kosten für Wind- und Sonnenstrom haben sich in den vergangenen Jahren auf 8 Cent/kWh halbiert. Der Differenz von 4 Cent/kWh entspricht eine CO2-Steuer von 400 Euro je Tonne. Natürlich würde diese Maßnahme auch alle Haushalte belasten, aber nur mit 15 Euro im Monat.
Eine Maßnahme, die nichts kosten und sogar unsere Geldbörse geringfügig entlasten würde, wäre das Ende der Beimengung von Biodiesel in den Sprit. Der solare Flächenwirkungsgrad des Biodiesels liegt bei 0,1 Prozent. Im Vergleich dazu liegt die aktuelle marktübliche Photovoltaik bei 18 Prozent. Für die Biodieselproduktion werden Regenwälder gerodet. Wird ein Hektar Regenwald abgebrannt, werden 6000 Tonnen CO2 freigesetzt. Jährlich kann auf dieser Fläche nur 1 Tonne Biodiesel produziert werden, die etwas mehr als 3 Tonnen CO2 klimaneutral kompensiert - gleichzeitig bleiben die 6000 Tonnen CO2 von der Brandrodung unkompensiert in der Atmosphäre. Anstelle von Brandrodung für Biosprit wäre Wiederaufforstung erforderlich. Ein Hektar Wald holt jährlich 30 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre. Würden weltweit alle forsttauglichen Flächen wieder aufgeforstet, würden zwei Drittel des seit der industriellen Revolution freigesetzten CO2 wieder in Wäldern gebunden, so eine Studie der ETH Zürich.
Stellt sich zum Schluss die Frage: Wann kommt der Wasserstoff? Der kommt erst, wenn wir den Klimawandel ernst nehmen und unsere Stromerzeugung umbauen. Wasserstoff wird heute aus Erdgas erzeugt. Klimaneutralen Wasserstoff mittels Strom gibt es erst, wenn wir unsere Stromerzeugung zur Gänze auf Wasser, Wind und Sonne umgestellt haben.