Auf dem Weg zum künstlichen Butler #
Die Computer verschmelzen zunehmend mit dem Umfeld des Menschen. Für Zukunftsforscher ist klar, dass bald personalisierte elektronische Gehilfen auftauchen werden: ein Szenario, das für gemischte Gefühle sorgt. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 29. August 2013).
Von
Martin Tauss
Früher war es so, erinnert sich die knapp 70-jährige Tina S., dass für die alten Leute die Lebenskreise immer mehr schrumpften: „Zuerst durften sie nicht mehr arbeiten, dann wollte der Körper nicht mehr, irgendwann war man im Haus oder in nur einem Zimmer gefangen und außer zwei, drei nahen Verwandten oder alten Bekannten kümmerte sich niemand mehr um einen.“ Jetzt hingegen lebe hier in der Wohnanlage ein alter Herr, der zwar total ans Bett gefesselt, aber über den Computer immer noch in mehreren Vereinen aktiv sei und sogar noch das Netzforum seines Golfclubs betreue, betont Tina: „Sein Körper will nicht mehr, aber er kann immer noch überall irgendwie dabei sein.“
Diese Schilderung stammt aus dem fi ktiven Szenario „Tina und ihr Butler“, das die Zukunftsforscher Robert Gaßner und Karlheinz Steinmüller im Auftrag des deutschen Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung unter dem Titel „Leben in der vernetzten Welt“ vor zehn Jahren publiziert haben. Die verstärkte gesellschaftliche Einbindung älterer Menschen dank vernetzter Interaktionswelten ist hier nur ein Aspekt von vielen, die darin zur Sprache kommen. Denn der Alltag der umtriebigen Tina wird zu weiten Teilen von ihrem „virtuellen Butler“ James organisiert, der für sie zahlreiche Kommunikationsund Abstimmungsaufgaben übernimmt. Der personalisierte Elektro-Dienstleister verwaltet den Terminkalender, überwacht nicht nur die Haustechnik, sondern auch Tinas Körperfunktionen und berät sie bei alltäglichen Problemen – etwa beim Preisvergleich, dem Verhandeln von Angeboten oder der Routenplanung. Und auch elektronische „Verkaufsavatare“, virtualisierte Büros und Hausarztvisiten gehören fi x zu Tinas Welt, die von den Zukunftsforschern bereits in das Jahr 2020 projiziert wurde.
Künstliche Intelligenz als Hilfsmittel #
In den letzten Jahren haben die Computer ihre festgefügten Plätze verlassen und sind zunehmend mit der Umwelt des Menschen verschmolzen. Im Auto, via Handy und diverser Sensoren begleiten sie unsere Mobilität. Und bereits heute kümmern sich einfache Roboter um das Staubsaugen oder die Pfl ege von Schwimmbecken. In den meisten Zukunftsszenarien kommen die Haushalte daher nicht mehr ohne künstlichen Butler aus, die entweder in Form eines komplexen Computer-Programms oder als robotische Gehilfen in Szene treten. Von „echten“ künstlichen Butlern erhofft man sich, dass sie nicht nur älteren Menschen ein selbstständiges Leben in gewohnter Umgebung ermöglichen, sondern generell unser Alltagsleben erleichtern. Wie weit ist dieser Weg noch?
Dieser Frage widmet sich eine Fachkonferenz, die diese Woche im schottischen Edingburgh zum Thema „intelligente virtuelle Agentena“ stattfi ndet – das sind technologische Geschöpfe, die mittels Mimik, Sprache und Gestik mit Menschen kommunizieren können.
Auch das Österreichische Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz hat kürzlich mit einem vom Institutsleiter Robert Trappl herausgegebenen Fachbuch auf dieses Szenario aufmerksam gemacht. „In der Umsetzung eines personalisierten virtuellen Butlers fehlen aber noch grundlegende Voraussetzungen“, konstatiert Paolo Petta, einer der Gruppenleiter am Institut. „Denn für echte Fortschritte bei fundamentalen Fähigkeiten wie dem Sehen oder der Kommunikation in natürlicher Sprache sind das Erfassen von Sinn und die Realisierung sozialer Kompetenzen erforderlich.“ Gerade in den letzten Jahren wurde die Hoffnung, offenen Herausforderungen allein durch den Einsatz von statistischen Verfahren und von „big data“, also großen komplexen Datenmengen, begegnen zu können, als Strohfeuer entlarvt. Dennoch sieht Petta Grund für vorsichtigen Optimismus: Dass künstliche Intelligenz als wichtiges Hilfsmittel dienen kann, um soziale Herausforderungen zu bewältigen, sei schon mehrfach unter Beweis gestellt worden. Medizinische Monitoring- Systeme etwa, die im Krankenhaus für eine kontinuierliche Überwachung der Patienten sorgen, werden zunehmend auch im häuslichen Bereich zum Einsatz kommen, vermutet Harald Trost, der ebenfalls am Institut für Künstliche Intelligenz tätig ist.
Forschung für innovative Produkte #
Ein boomender Forschungsbereich ist jedenfalls die Nutzbarmachung von Computer-Technologie für die Bedürfnisse älterer Menschen. Denn der wachsende Anteil älterer Personen, der prognostizierte Anstieg altersbedingter Krankheiten sowie veränderte Familienstrukturen erfordern leistbare technologische Hilfestellungen und versprechen einen wachsenden Markt für innovative Produkte. „Virtuelle Butler“ könnten eine wichtige Rolle spielen, um eingeschränkte Funktionen und Aktivitäten des täglichen Lebens zu kompensieren – und beispielsweise an die Einnahme der Medikation erinnern oder das „Essen auf Rädern“ organisieren.
Andererseits, so befürchten Experten, könnte die technische Unterstützung ältere Menschen davon abhalten, selbstständig zu bleiben. Auch wenn der Bedarf nach Kommunikation technisch leicht zu erfüllen wäre, könnte die virtuelle Welt nicht über fehlende menschliche Kontakte und Intimität hinwegtäuschen. Neue Technologien ermöglichen älteren Menschen sozialen Austausch, der sonst nicht mehr möglich wäre; zugleich besteht das Risiko, dass reale soziale Kontakte vernachlässigt werden.
Aber auch andere Gefahren wären anzusprechen. Wichtige Wortmeldungen im wissenschaftlichen Diskurs warnen vor möglichen Missverständnissen dieser Technologien: etwa vor einer verzerrten Realitätswahrnehmung, vor allem auch hinsichtlich unangenehmer Aspekte des Lebens, vor der Gleichsetzung einer technischen Funktion mit einer menschlichen Fähigkeit sowie überhaupt vor einer Anthropomorphisierung, ja der grundsätzlichen Verwechslung eines technologischen Artefakts mit einem Lebewesen.
Der vermenschlichte Computer #
Ein Medium, das entscheidend zur Anthropomorphiserung von Computern beiträgt, ist die Sprache. Inwiefern wir künftig mit virtuellen Butlern und umher wandernden Robotern sprechen werden, ist noch offen, meint Harald Trost, der sich auf die technische Prozessierung natürlicher Sprache spezialisiert hat. Die Kommunikation mit sprachgesteuerten Geräten gibt es bereits heute; diese funktionieren aber nur in einem Segment überschaubarer Anwendungen. Die hohe Fehlerquote im Sprachverständnis der Computer limitiert derzeit eine breitere Anwendung. Für Trost stellen sich vor allem zwei große Herausforderungen im Hinblick auf das Zukunftsszenario des virtuellen Butlers: „Erstens der Datenschutz, denn die Datenübertragung über das Internet wird unvermeidbar sein, und zweitens ethische Fragen, die einer breiten gesellschaftlichen Reflexion bedürfen.“
Dass Technologie per se Probleme lösen könnte, ist ein hoffentlich nicht mehr so weit verbreiteter Irrglaube, betont auch Petta, der hinzufügt, dass gerade in diesem sensitiven Technologiebereich „Vermarktungsideen nicht die erste Geige spielen dürfen“. Zu achten ist jedenfalls darauf, dass sich die Leitvision von Tina und ihrem virtuellen Butler James nicht in einer abgründigen „Schönen Neuen Welt“ realisiert.
Siehe auch JOANNOVUM 1/2020#