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iit-Themenband – Künstliche Intelligenz 247
mehr Bedeutung für das Individuum haben als ein vorgegebener Zweck. Mit KI, so
die Befürchtung, wird die körperlich-materielle Erfahrung der Welt und des eigenen
Selbst von einer sterilen, austauschbaren und geglätteten Inszenierung eines „Quasi-
Selbst“ abgelöst. Damit geht auch das materielle Erbe eines Menschen verloren: Per-
sönliche Gegenstände, die Geschichten erzählen, verschwinden zugunsten von
Datenprofilen, die sich aus beliebigen Punkten zusammensetzen (Unlimited World
2017).
Identität zeigt eine soziale Seite insbesondere dort, wo sie durch Interaktionen mit
anderen Menschen entsteht. KI ist bereits heute sowohl Interaktionspartner als auch
-filter. Dienstleistungen wie Spotify, Facebook oder Amazon wissen bereits mehr
über persönliche Präferenzen als die engsten Freunde. Algorithmen erhärten Kauf-
entscheidungen und Geschmacksnuancen. Sie determinieren so die Präferenzen
ihrer Nutzer. Nach der Kritik hieran entstanden sogenannte encoding-Algorithmen,
die alternative Vorschläge machen sollen, um die Souveränität des Nutzers zu stär-
ken. Nur lösen sie das Problem nicht, eher im Gegenteil: Sie wirken noch manipula-
tiver, weil sie eine scheinbar objektivierte Präferenzfindung suggerieren. Das Ergebnis
ist aber das Gleiche: Die Souveränität der Nutzer wird gewollt – oder auch nicht –
drastisch reduziert. Ähnlich wirken Siri und Alexa, die sehr gefügig und wenig kont-
rovers einen emotionslosen Austausch simulieren. Kommunikation verliert hier ihre
Ambivalenz, mit der wir durch soziale Erfahrungen umzugehen wissen und durch die
wir herausfinden, wie wir auf andere wirken und wer wir für die andere Person sind.
Aus ethischer Perspektive ist diese Art der Kommunikation mit KI, die eine vermeint-
lich partnerschaftliche soziale Interaktion simuliert, hintergründig aber strategische
Zwecke verfolgt, hochgradig bedenklich.
Ein sehr eindrückliches Beispiel ist hierfür die „Hello-Barbie-Puppe“ von Mattel (NYT
2015). Diese sprechende Puppe verwickelt Kinder mit Hilfe von Spracherkennung
und KI in ein Gespräch, das dem einer realen Freundschaft nachempfunden ist. Wenn
Kinder der Puppe eigene Gefühle anvertrauen und eine enge Bindung eingehen,
verlieren sie ihre Intimsphäre, da die Puppe diese Informationen an Dritte weitergibt,
etwa die Eltern. Das Spielzeug war deshalb Gegenstand einer kontroversen Diskus-
sion in amerikanischen Medien. Jedoch ist das Prinzip das gleiche wie auch bei
Online-Kaufvorschlägen: Die soziale Identitätsbildung wird durch KI für strategische
Interessen ausgenutzt. Dies betrifft auch vermeintlich positive Anwendungen von KI,
wenn z. B. Algorithmen genutzt werden, um über WhatsApp-Chatverläufe depres-
sive Züge von Kindern und Jugendlichen zu diagnostizieren (RP Online 2017).
Während KI hier eine gesunde Identitätsbildung unterstützen soll und gleichzeitig
dem gesellschaftlichen Wert – nämlich dem Schutz von Minderjährigen – Rechnung
trägt, wird auch der Zweifel genährt, wie weit Schutz gehen darf und wann
Persönlichkeitsrechte verletzt werden.
Künstliche Intelligenz
Technologie | Anwendung | Gesellschaft
- Titel
- Künstliche Intelligenz
- Untertitel
- Technologie | Anwendung | Gesellschaft
- Herausgeber
- Volker Wittpahl
- Verlag
- Springer Vieweg
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-662-58042-4
- Abmessungen
- 16.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 286
- Schlagwörter
- Elektrische Antriebssysteme, Intelligentes Gesamtmaschinenmanagement, Künstliche Intelligenz, Data Mining, Maschinelles Lernen, Deep Learning, artificial intelligence, data mining, machine learning, deep learning
- Kategorie
- Technik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Inhaltsverzeichnis 15
- A Technologie 18
- B Anwendung 92
- Einleitung: KI ohne Grenzen? 95
- 5. Neue Möglichkeiten für die Servicerobotik durch KI 99
- 6. E-Governance: Digitalisierung und KI in der öffentlichen Verwaltung 122
- 7. Learning Analytics an Hochschulen 142
- 8. Perspektiven der KI in der Medizin 161
- 9. Die Rolle der KI beim automatisierten Fahren 176
- 10. Maschinelle Übersetzung 194
- C Gesellschaft 212
- Ausblick 273
- Anhang 277
- Autorinnen und Autoren 277
- Abkürzungsverzeichnis 286