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32 Bildung überdenken • ein globales Gemeingut?
Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein – wie es die Denker Frantz Fanon, Aimé
Césaire, Rabindranath Tagore und andere waren –, dass wir durch die Bevorzugung einer
Form von Wissen in Tat und Wahrheit auch einem Machtsystem den Vorrang geben.
Für die Bildung und Entwicklung der Zukunft muss der Dialog zwischen verschiedenen
Weltanschauungen gefördert werden – mit dem Ziel, Wissenssysteme, die ihren Ur-
sprung in unterschiedlichen Realitäten haben, miteinander zu vereinigen und als unser
gemeinschaftliches Erbe zu etablieren. Die Stimmen aus dem globalen Süden müssen
in internationalen Debatten über Bildung angehört werden. Beispielsweise wird in den
Andenvölkern Lateinamerikas Entwicklung mit der Vorstellung von Sumak Kawsay in
Verbindung gebracht. Diesem Ausdruck in der Quechuasprache entspricht etwa das
Spanische «buen vivir» oder «gutes Leben» bzw. «gut leben». Das in den indigenen
Kulturen und Weltanschauungen verwurzelte Sumak Kawsay wird gelegentlich als
alternatives Entwicklungskonzept vorgeschlagen und hat in die Verfassungen von
Ecuador und Bolivien Eingang gefunden. Auch Mahatma Gandhis Auffassung von einer
«Treuhandschaft», durch die wir die Schätze der Erde nicht als «Besitzer», sondern als
«Treuhänder» aller Lebewesen und aller zukünftigen Generationen verwalten, ist eine
Überlegung wert.47
Kasten 3 – Sumak Kawsay: Ein alternatives Entwicklungskonzept
Der Begriff Sumak Kawsay ist in der Weltanschauung der Quechuavölker in den Anden in Ecuador
verwurzelt. Auf Spanisch wird er mit «buen vivir» übersetzt, zu Deutsch etwa «gutes Leben» bzw. «gut
leben». Er steht für eine harmonische, kollektive Entwicklung, zu der der Einzelne im Kontext der sozialen
und kulturellen Gemeinschaft wie auch seiner eigenen natürlichen Umgebung beiträgt. Das Konzept
entspringt dem indigenen Glaubenssystem der Quechua und bezieht westliche Kritiken an dominierenden
Entwicklungsmodellen ein. Daraus ergibt sich ein alternatives Paradigma, das auf Harmonie sowohl
zwischen den Menschen, als auch zwischen den Menschen und ihrer natürlichen Umwelt, basiert.
Das Konzept Sumak Kawsay hat die neue Verfassung Ecuadors inspiriert. Darin ist die Rede von einer
«neuen Form des Zusammenlebens der Bürger in Vielfalt und Harmonie mit der Natur, um das gute Leben,
Sumak Kawsay, zu erreichen». Die Verfassung anerkennt das «Recht der Bevölkerung, in einer gesunden
und ökologisch ausgeglichenen Umwelt zu leben, die Nachhaltigkeit und das gute Leben (Sumak Kawsay)
garantiert». Weiter ist in der Verfassung verankert, dass der Staat für Folgendes verantwortlich ist: «Die
Generierung und Produktion von Wissen zu fördern, die wissenschaftliche und technische Forschung zu
unterstützen sowie der Weisheit der Ahnen mehr Geltung zu verschaffen, um dadurch zur Erreichung der
guten Art zu leben (Sumak Kawsay) beizutragen.»48
47 M. K. Gandhi, 1960. Trusteeship. Compiled by Ravindra Kelekar. Ahemadabad, India, Jitendra T. Desai
Navajivan Mudranalaya.
48 Siehe Artikel 14 und 387 der Verfassung von Ecuador: Art. 14 - Se reconoce el derecho de la población a
vivir en un ambiente sano y ecológicamente equilibrado, que garantice la sostenibilidad y el buen vivir,
sumak kawsay; Art. 387.- Será responsabilidad del Estado: […] 2. Promover la generación y producción
de conocimiento, fomentar la investigación científica y tecnológica, y potenciar los saberes ancestrales,
para así contribuir a la realizacion del buen vivir, al sumak kawsay.
Bildung überdenken
Ein globales Gemeingut?
- Titel
- Bildung überdenken
- Untertitel
- Ein globales Gemeingut?
- Herausgeber
- Schweizerische UNESCO-Kommission
- Deutsche UNESCO-Kommission
- Österreichische UNESCO-Kommission
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 3.0
- ISBN
- 978-3-033-05613-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 96
- Kategorie
- Geisteswissenschaften