Seite - 131 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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12.9.1986: Information Gesandter Somogyi Dok. 4
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des“ räume den osteuropäischen Verbündeten mehr innenpolitischen Spielraum
ein, der ihren Eigenheiten besser gerecht werde. Er verlange ihnen aber eine mit
„sanftem Druck“ (DDR und Ungarn) erzwungene engere wirtschaftliche Koope-
ration im RGW und selbstverständlich absolute Linientreue in außenpolitischen
Belangen ab. Zu diesem Zweck setze Gorbatschow auf ständige Konsultation im
östlichen Bündnis (WP und RGW), denn der eigene Weg dürfe mit sowjetischen
Interessen nicht kollidieren und müsse der Gemeinschaft insgesamt nützen.
Zu dieser Problematik wurden die zuständigen Botschaften zu Stellungnah-
men eingeladen. Sie lassen sich wie folgt resümieren.
[…]3
ÖB Berlin:
Unter Betonung der Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Kommuni-
stischen Parteien sucht die SED den Ausbau der Beziehungen zu den westlichen
sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien. In den deutsch-deutschen Be-
ziehungen übt man auf Moskaus Wunsch Selbstbeschränkung und sucht das wei-
tere Vorgehen mit einem „ergebnisorientierten Dialog“ zu rechtfertigen. Wirt-
schaftlich verlangt Moskau vom innerhalb des RGW wirtschaftlich stärksten
Partner eine engere Kooperation und eine Ausrichtung nach sowjetischen Be-
dürfnissen.4
[…]5
Wertung
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Gorbatschow auf wirtschaftlichem
Gebiet und in Fragen der Abrüstung zweifellos eine stärkere Zusammenarbeit
verlangt, wobei sanfter Druck und Dialog praktiziert werden. Ob und inwieweit
sich Gorbatschow mit seinen weitgehenden Plänen insbesondere auf wirtschaft-
lichem Gebiet letztlich durchsetzen wird, ist nicht absehbar.
Wenn auch ein anderer Ton in den Beziehungen der SU zu den anderen
WP-Staaten eingekehrt ist, dürfte jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass die
Breschnew-Doktrin6 nach wie vor Gültigkeit besitzt.
3 Ausgelassen wurden die Zusammenfassungen der Berichte der Botschaften Moskau und
Warschau.
4 Die Informationen zur DDR beruhen auf dem Bericht des österreichischen Botschafters in der
DDR Franz Wunderbaldinger, siehe Dok. 3.
5 Ausgelassen wurden die Zusammenfassungen der Berichte der Botschaften Prag, Budapest,
Bukarest und Sofia.
6 Mit der „Breschnew-Doktrin“ wird die beschränkte Souveränität sozialistischer Staaten be-
zeichnet. Das Schicksal und der Schutz des Sozialismus in anderen Ländern wurden von den
Sowjetführern bereits vor der Intervention in der Tschechoslowakei im Jahre 1968 als außen-
politische Pflicht gesehen. Nach der Intervention wurde die These der „beschränkten Souverä-
nität“ in Grundsatzartikeln in der Prawda ausdefiniert. Demzufolge konnte die Souveränität
eines Staates nicht über die Interessen des Weltsozialismus, und der revolutionären Bewegung
der Welt gestellt werden. Die Selbstbestimmung wurde insofern eingeschränkt, als dass die
Schwächung eines Glieds des sozialistischen Weltsystems sich direkt auf die Interessen aller
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Buch Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit"
Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99